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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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blindung und der Glanz die Erde verdeckte
und er einsam wurde; und die Erde zum Rauch
und die Sonne zu einer weissen sanften Welt,
die nur am Rande blitzte: so that sich sein
ganzer voller Geist wie eine Gewitterwolke
auseinander und brannte und weinte, und aus
der reinen blassen Sonne sah ihn seine Mutter
an und im Feuer und Rauch der Erde stand
sein Vater und sein Leben eingehüllt. --

Still gieng er die Terrassen herunter und
fuhr oft über die nassen Augen, um den feuri¬
gen Schatten wegzuwischen, der auf alle Gipfel
und alle Stufen hüpfte. --

Hohe Natur! wenn wir dich sehen und lie¬
ben, so lieben wir unsere Menschen wärmer
und wenn wir sie betrauern oder vergessen
müssen, so bleibst du bei uns und ruhest vor
dem nassen Auge wie ein grünendes abendro¬
thes Gebirge. Ach vor der Seele, vor welcher
der Morgenthau der Ideale sich zum grauen
kalten Landregen entfärbet hat -- und vor
dem Herzen, dem auf den unterirrdischen Gän¬
gen dieses Lebens die Menschen nur noch wie
dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Ka¬

blindung und der Glanz die Erde verdeckte
und er einſam wurde; und die Erde zum Rauch
und die Sonne zu einer weiſſen ſanften Welt,
die nur am Rande blitzte: ſo that ſich ſein
ganzer voller Geiſt wie eine Gewitterwolke
auseinander und brannte und weinte, und aus
der reinen blaſſen Sonne ſah ihn ſeine Mutter
an und im Feuer und Rauch der Erde ſtand
ſein Vater und ſein Leben eingehüllt. —

Still gieng er die Terraſſen herunter und
fuhr oft über die naſſen Augen, um den feuri¬
gen Schatten wegzuwiſchen, der auf alle Gipfel
und alle Stufen hüpfte. —

Hohe Natur! wenn wir dich ſehen und lie¬
ben, ſo lieben wir unſere Menſchen wärmer
und wenn wir ſie betrauern oder vergeſſen
müſſen, ſo bleibſt du bei uns und ruheſt vor
dem naſſen Auge wie ein grünendes abendro¬
thes Gebirge. Ach vor der Seele, vor welcher
der Morgenthau der Ideale ſich zum grauen
kalten Landregen entfärbet hat — und vor
dem Herzen, dem auf den unterirrdiſchen Gän¬
gen dieſes Lebens die Menſchen nur noch wie
dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Ka¬

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[22/0042] blindung und der Glanz die Erde verdeckte und er einſam wurde; und die Erde zum Rauch und die Sonne zu einer weiſſen ſanften Welt, die nur am Rande blitzte: ſo that ſich ſein ganzer voller Geiſt wie eine Gewitterwolke auseinander und brannte und weinte, und aus der reinen blaſſen Sonne ſah ihn ſeine Mutter an und im Feuer und Rauch der Erde ſtand ſein Vater und ſein Leben eingehüllt. — Still gieng er die Terraſſen herunter und fuhr oft über die naſſen Augen, um den feuri¬ gen Schatten wegzuwiſchen, der auf alle Gipfel und alle Stufen hüpfte. — Hohe Natur! wenn wir dich ſehen und lie¬ ben, ſo lieben wir unſere Menſchen wärmer und wenn wir ſie betrauern oder vergeſſen müſſen, ſo bleibſt du bei uns und ruheſt vor dem naſſen Auge wie ein grünendes abendro¬ thes Gebirge. Ach vor der Seele, vor welcher der Morgenthau der Ideale ſich zum grauen kalten Landregen entfärbet hat — und vor dem Herzen, dem auf den unterirrdiſchen Gän¬ gen dieſes Lebens die Menſchen nur noch wie dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Ka¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/42>, abgerufen am 28.03.2024.