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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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63. Zykel.

Ach am Morgen darauf wurde freilich aus
dem Abendrothe eines ganzen Himmels ein
trübes Gewölke. Denn Liane gieng dem Jüng¬
ling in so langen dichten Schleiern dahin.
Irgend ein Geheimniß der Noth wirft kalte
Klostermauern zwischen nahen Herzen auf --
das ist offenbar. Bis hieher bogen mancher¬
lei Zufälle einige Blumen, die Liane verhüllend
über das Herz gezogen, wie die Erdstockwerke
in Sädten durch Blumen und Reben das Ein¬
sehen in die Fenster abwehren, von der dun¬
kelsten Ecke des Hintergrundes weg, in der et¬
wan die Rückseite eines Brustbildes hieng, das
umgedreht vielleicht dem Grafen glich. Aber
noch hängt das Bild mit dem Gesichte gegen
die Wand. -- Indeß gleicht ein weibliches
Herz oft dem Marmor; der geschickte Steinmetz
thut tausend Schläge, ohne daß der parische
Block nur in die Linie eines Sprunges reiße;
aber auf einmal bricht er auseinander eben in
die Form, die der geschickte Steinmetz so lange
hämmernd verfolgte.

63. Zykel.

Ach am Morgen darauf wurde freilich aus
dem Abendrothe eines ganzen Himmels ein
trübes Gewölke. Denn Liane gieng dem Jüng¬
ling in ſo langen dichten Schleiern dahin.
Irgend ein Geheimniß der Noth wirft kalte
Kloſtermauern zwiſchen nahen Herzen auf —
das iſt offenbar. Bis hieher bogen mancher¬
lei Zufälle einige Blumen, die Liane verhüllend
über das Herz gezogen, wie die Erdſtockwerke
in Sädten durch Blumen und Reben das Ein¬
ſehen in die Fenſter abwehren, von der dun¬
kelſten Ecke des Hintergrundes weg, in der et¬
wan die Rückſeite eines Bruſtbildes hieng, das
umgedreht vielleicht dem Grafen glich. Aber
noch hängt das Bild mit dem Geſichte gegen
die Wand. — Indeß gleicht ein weibliches
Herz oft dem Marmor; der geſchickte Steinmetz
thut tauſend Schläge, ohne daß der pariſche
Block nur in die Linie eines Sprunges reiße;
aber auf einmal bricht er auseinander eben in
die Form, die der geſchickte Steinmetz ſo lange
hämmernd verfolgte.

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[150/0158] 63. Zykel. Ach am Morgen darauf wurde freilich aus dem Abendrothe eines ganzen Himmels ein trübes Gewölke. Denn Liane gieng dem Jüng¬ ling in ſo langen dichten Schleiern dahin. Irgend ein Geheimniß der Noth wirft kalte Kloſtermauern zwiſchen nahen Herzen auf — das iſt offenbar. Bis hieher bogen mancher¬ lei Zufälle einige Blumen, die Liane verhüllend über das Herz gezogen, wie die Erdſtockwerke in Sädten durch Blumen und Reben das Ein¬ ſehen in die Fenſter abwehren, von der dun¬ kelſten Ecke des Hintergrundes weg, in der et¬ wan die Rückſeite eines Bruſtbildes hieng, das umgedreht vielleicht dem Grafen glich. Aber noch hängt das Bild mit dem Geſichte gegen die Wand. — Indeß gleicht ein weibliches Herz oft dem Marmor; der geſchickte Steinmetz thut tauſend Schläge, ohne daß der pariſche Block nur in die Linie eines Sprunges reiße; aber auf einmal bricht er auseinander eben in die Form, die der geſchickte Steinmetz ſo lange hämmernd verfolgte.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/158>, abgerufen am 28.03.2024.