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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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überschauete mit dunklern Augen das verklärte
Land.

Abends kamen frohe Kirchgänger aus
Blumenbühl und priesen das Einweihen und
Beisetzen gewaltig. Er sah noch den from¬
men Vater drüben auf dem Bergrücken stehen.
Der Morgen, wo er einen ganzen Tag Lianen
sehen und ihr vielleicht alles sagen konnte,
überzog sein Leben mit einem ihn in prächti¬
gen Regenbogenkreisen umschimmernden Mor¬
genthau. Noch im Bette sang er vor Lust das
Morgenlied der Ruderleute auf dem Lago
maggiore
-- die Sternbilder über Blumenbühl
glänzten in das ofne Fenster seines Alpenhäus¬
chens herüber an das zusinkende Auge. --
Als ihn der helle Mond und Flötentöne aus
dem Thal wieder weckten: glühte das stille Ent¬
zücken unter der Asche des Schlafes noch fort
und das größere drückte die Augen wieder zu.

65. Zykel.

Unter einem frischen Morgenblau gieng
er voll Hofnungen, heute sein immer in weisse

überſchauete mit dunklern Augen das verklärte
Land.

Abends kamen frohe Kirchgänger aus
Blumenbühl und prieſen das Einweihen und
Beiſetzen gewaltig. Er ſah noch den from¬
men Vater drüben auf dem Bergrücken ſtehen.
Der Morgen, wo er einen ganzen Tag Lianen
ſehen und ihr vielleicht alles ſagen konnte,
überzog ſein Leben mit einem ihn in prächti¬
gen Regenbogenkreiſen umſchimmernden Mor¬
genthau. Noch im Bette ſang er vor Luſt das
Morgenlied der Ruderleute auf dem Lago
maggiore
— die Sternbilder über Blumenbühl
glänzten in das ofne Fenſter ſeines Alpenhäus¬
chens herüber an das zuſinkende Auge. —
Als ihn der helle Mond und Flötentöne aus
dem Thal wieder weckten: glühte das ſtille Ent¬
zücken unter der Aſche des Schlafes noch fort
und das größere drückte die Augen wieder zu.

65. Zykel.

Unter einem friſchen Morgenblau gieng
er voll Hofnungen, heute ſein immer in weiſſe

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[165/0173] überſchauete mit dunklern Augen das verklärte Land. Abends kamen frohe Kirchgänger aus Blumenbühl und prieſen das Einweihen und Beiſetzen gewaltig. Er ſah noch den from¬ men Vater drüben auf dem Bergrücken ſtehen. Der Morgen, wo er einen ganzen Tag Lianen ſehen und ihr vielleicht alles ſagen konnte, überzog ſein Leben mit einem ihn in prächti¬ gen Regenbogenkreiſen umſchimmernden Mor¬ genthau. Noch im Bette ſang er vor Luſt das Morgenlied der Ruderleute auf dem Lago maggiore — die Sternbilder über Blumenbühl glänzten in das ofne Fenſter ſeines Alpenhäus¬ chens herüber an das zuſinkende Auge. — Als ihn der helle Mond und Flötentöne aus dem Thal wieder weckten: glühte das ſtille Ent¬ zücken unter der Aſche des Schlafes noch fort und das größere drückte die Augen wieder zu. 65. Zykel. Unter einem friſchen Morgenblau gieng er voll Hofnungen, heute ſein immer in weiſſe

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/173>, abgerufen am 28.03.2024.