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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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nicht, daß sie ihren Tod und Linda's Verkün¬
digung durch Geister meinte. "Ich meine, nach
"Einem Jahre (versetzte sie) nach den Prophe¬
"zeihungen." Er sah sie stumm, wild, rathend
und bänglich an Sie fiel ihm weinend ans
Herz und lösete plötzlich das Gedränge innerer
Seufzer: "bin ich denn dann nicht, (sagte sie
heftig,) gestorben und seh' aus der Seellgkeit
zu, daß Du belohnet wirst für Deine Liebe ge¬
gen Liane? Und das gewiß recht sehr!" --

Weine, zürne, leide, frohlocke und bewundere
immerhin, heftiger Jüngling! Aber Du fassest
diese demüthige Seele doch nicht! -- Hei¬
lige Demuth? einzige Tugend, die nicht vom
Menschen sondern von Gott geschaffen wird!
Du bist höher als Alles, was Du verbirgst oder
nicht kennst! Du himmlischer Lichtstrahl, wie
das irrdische Licht *) zeigst du alle fremde Far¬

*) Denn was man Licht nennt, ist nur stärkeres
Weiß. Niemand sieht Nachts den Lichtstrom,
der vor der Erde vorbei von der Sonne auf
den Vollmond hinaufstürzt.

nicht, daß ſie ihren Tod und Linda's Verkün¬
digung durch Geiſter meinte. „Ich meine, nach
„Einem Jahre (verſetzte ſie) nach den Prophe¬
„zeihungen.“ Er ſah ſie ſtumm, wild, rathend
und bänglich an Sie fiel ihm weinend ans
Herz und löſete plötzlich das Gedränge innerer
Seufzer: „bin ich denn dann nicht, (ſagte ſie
heftig,) geſtorben und ſeh' aus der Seellgkeit
zu, daß Du belohnet wirſt für Deine Liebe ge¬
gen Liane? Und das gewiß recht ſehr!“ —

Weine, zürne, leide, frohlocke und bewundere
immerhin, heftiger Jüngling! Aber Du faſſeſt
dieſe demüthige Seele doch nicht! — Hei¬
lige Demuth? einzige Tugend, die nicht vom
Menſchen ſondern von Gott geſchaffen wird!
Du biſt höher als Alles, was Du verbirgſt oder
nicht kennſt! Du himmliſcher Lichtſtrahl, wie
das irrdiſche Licht *) zeigſt du alle fremde Far¬

*) Denn was man Licht nennt, iſt nur ſtärkeres
Weiß. Niemand ſieht Nachts den Lichtſtrom,
der vor der Erde vorbei von der Sonne auf
den Vollmond hinaufſtürzt.
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[21/0033] nicht, daß ſie ihren Tod und Linda's Verkün¬ digung durch Geiſter meinte. „Ich meine, nach „Einem Jahre (verſetzte ſie) nach den Prophe¬ „zeihungen.“ Er ſah ſie ſtumm, wild, rathend und bänglich an Sie fiel ihm weinend ans Herz und löſete plötzlich das Gedränge innerer Seufzer: „bin ich denn dann nicht, (ſagte ſie heftig,) geſtorben und ſeh' aus der Seellgkeit zu, daß Du belohnet wirſt für Deine Liebe ge¬ gen Liane? Und das gewiß recht ſehr!“ — Weine, zürne, leide, frohlocke und bewundere immerhin, heftiger Jüngling! Aber Du faſſeſt dieſe demüthige Seele doch nicht! — Hei¬ lige Demuth? einzige Tugend, die nicht vom Menſchen ſondern von Gott geſchaffen wird! Du biſt höher als Alles, was Du verbirgſt oder nicht kennſt! Du himmliſcher Lichtſtrahl, wie das irrdiſche Licht *) zeigſt du alle fremde Far¬ *) Denn was man Licht nennt, iſt nur ſtärkeres Weiß. Niemand ſieht Nachts den Lichtſtrom, der vor der Erde vorbei von der Sonne auf den Vollmond hinaufſtürzt.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/33>, abgerufen am 25.04.2024.