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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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lichkeit und schmachten; endlich hängt sie dick
an den schwarzen Ästen sechs Tage lang und
noch dazu unter kalten Maigüssen, reissenden
Wonnemonds-Stürmen und unter dem Stumm¬
sitzen aller halb - erfrornen Nachtigallen --
und dann, wenn man endlich in den Garten
hinauskommt, ist schon der Fußsteig blüthenweiß
und der Baum höchstens voll Grün; dann ists
vorbei, bis wir wieder im Winter den Anfang
eines Mährchens herzerhoben hören: "Es war
"eben in der schönen Blüthezeit." -- Eben so
seh' ich wenig Autoren am langen romanti¬
schen Sessions- und Schreibetisch rechts und
links für das Lesepult arbeiten, welche nach der
langen Vorrede zur Liebe nicht diese, sobald
sie wie ein Krieg erkläret ist, sofort schlössen;
-- und wirklich giebts zur Liebe mehr Stu¬
fen als in ihr; alles Werden, z.B. der Früh¬
ling, die Jugend, der Morgen, das Lernen
geht vielfärbiger und geräumiger auseinander
als das feste Seyn; aber ist dieses nicht wie¬
der ein Werden; nur ein höheres und jenes ein
Seyn, nur ein schnelleres? --

Albano wollte die fliegende, göttliche Zeit,

Titan III. C

lichkeit und ſchmachten; endlich hängt ſie dick
an den ſchwarzen Äſten ſechs Tage lang und
noch dazu unter kalten Maigüſſen, reiſſenden
Wonnemonds-Stürmen und unter dem Stumm¬
ſitzen aller halb - erfrornen Nachtigallen —
und dann, wenn man endlich in den Garten
hinauskommt, iſt ſchon der Fußſteig blüthenweiß
und der Baum höchſtens voll Grün; dann iſts
vorbei, bis wir wieder im Winter den Anfang
eines Mährchens herzerhoben hören: „Es war
„eben in der ſchönen Blüthezeit.“ — Eben ſo
ſeh' ich wenig Autoren am langen romanti¬
ſchen Seſſions- und Schreibetiſch rechts und
links für das Leſepult arbeiten, welche nach der
langen Vorrede zur Liebe nicht dieſe, ſobald
ſie wie ein Krieg erkläret iſt, ſofort ſchlöſſen;
— und wirklich giebts zur Liebe mehr Stu¬
fen als in ihr; alles Werden, z.B. der Früh¬
ling, die Jugend, der Morgen, das Lernen
geht vielfärbiger und geräumiger auseinander
als das feſte Seyn; aber iſt dieſes nicht wie¬
der ein Werden; nur ein höheres und jenes ein
Seyn, nur ein ſchnelleres? —

Albano wollte die fliegende, göttliche Zeit,

Titan III. C
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[33/0045] lichkeit und ſchmachten; endlich hängt ſie dick an den ſchwarzen Äſten ſechs Tage lang und noch dazu unter kalten Maigüſſen, reiſſenden Wonnemonds-Stürmen und unter dem Stumm¬ ſitzen aller halb - erfrornen Nachtigallen — und dann, wenn man endlich in den Garten hinauskommt, iſt ſchon der Fußſteig blüthenweiß und der Baum höchſtens voll Grün; dann iſts vorbei, bis wir wieder im Winter den Anfang eines Mährchens herzerhoben hören: „Es war „eben in der ſchönen Blüthezeit.“ — Eben ſo ſeh' ich wenig Autoren am langen romanti¬ ſchen Seſſions- und Schreibetiſch rechts und links für das Leſepult arbeiten, welche nach der langen Vorrede zur Liebe nicht dieſe, ſobald ſie wie ein Krieg erkläret iſt, ſofort ſchlöſſen; — und wirklich giebts zur Liebe mehr Stu¬ fen als in ihr; alles Werden, z.B. der Früh¬ ling, die Jugend, der Morgen, das Lernen geht vielfärbiger und geräumiger auseinander als das feſte Seyn; aber iſt dieſes nicht wie¬ der ein Werden; nur ein höheres und jenes ein Seyn, nur ein ſchnelleres? — Albano wollte die fliegende, göttliche Zeit, Titan III. C

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/45>, abgerufen am 29.03.2024.