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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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wo das Herz unser Gott ist, schöner lenken,
sie sollte mehr empor als hinweg fliegen.
Er zürnte den andern Tag mit niemand als
mit sich. Er riß sich durch solche kleine und
doch eng-umschnürende Schmerzen durch,
durch einen Zustand wie bei einem Erdbeben,
wo ein unsichtbarer Dunst den verstrickten,
schweren Fuß hält; ich will mich lieber auf
Bergen beregnen lassen, sagt' er, als in Thä¬
lern. Menschen von Phantasie söhnen sich
leichter mit der ab- als anwesenden Geliebten
aus.

Nach einigen Tagen gieng er wieder nach
Blumenbühl, kurz vor Sonnenuntergang. Ein
brennendes Roth schnitt durch die Laubnacht.
Sein finsterer Holzweg wurd' ihm von den
darein hüpfenden Flammen zu einem verzau¬
berten gemacht. Er setzte seine beleuchtete Ge¬
genwart tief in eine künftige, schattige Vergan¬
genheit hinein. O, nach Jahren, dacht' er,
wenn Du wiederkommst, wenn Alles vergangen
ist und verändert -- die Bäume gewachsen --
die Menschen entwichen -- und nur die Berge
und der Bach geblieben -- da wirst Du Dich see¬

wo das Herz unſer Gott iſt, ſchöner lenken,
ſie ſollte mehr empor als hinweg fliegen.
Er zürnte den andern Tag mit niemand als
mit ſich. Er riß ſich durch ſolche kleine und
doch eng-umſchnürende Schmerzen durch,
durch einen Zuſtand wie bei einem Erdbeben,
wo ein unſichtbarer Dunſt den verſtrickten,
ſchweren Fuß hält; ich will mich lieber auf
Bergen beregnen laſſen, ſagt' er, als in Thä¬
lern. Menſchen von Phantaſie ſöhnen ſich
leichter mit der ab- als anweſenden Geliebten
aus.

Nach einigen Tagen gieng er wieder nach
Blumenbühl, kurz vor Sonnenuntergang. Ein
brennendes Roth ſchnitt durch die Laubnacht.
Sein finſterer Holzweg wurd' ihm von den
darein hüpfenden Flammen zu einem verzau¬
berten gemacht. Er ſetzte ſeine beleuchtete Ge¬
genwart tief in eine künftige, ſchattige Vergan¬
genheit hinein. O, nach Jahren, dacht' er,
wenn Du wiederkommſt, wenn Alles vergangen
iſt und verändert — die Bäume gewachſen —
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[34/0046] wo das Herz unſer Gott iſt, ſchöner lenken, ſie ſollte mehr empor als hinweg fliegen. Er zürnte den andern Tag mit niemand als mit ſich. Er riß ſich durch ſolche kleine und doch eng-umſchnürende Schmerzen durch, durch einen Zuſtand wie bei einem Erdbeben, wo ein unſichtbarer Dunſt den verſtrickten, ſchweren Fuß hält; ich will mich lieber auf Bergen beregnen laſſen, ſagt' er, als in Thä¬ lern. Menſchen von Phantaſie ſöhnen ſich leichter mit der ab- als anweſenden Geliebten aus. Nach einigen Tagen gieng er wieder nach Blumenbühl, kurz vor Sonnenuntergang. Ein brennendes Roth ſchnitt durch die Laubnacht. Sein finſterer Holzweg wurd' ihm von den darein hüpfenden Flammen zu einem verzau¬ berten gemacht. Er ſetzte ſeine beleuchtete Ge¬ genwart tief in eine künftige, ſchattige Vergan¬ genheit hinein. O, nach Jahren, dacht' er, wenn Du wiederkommſt, wenn Alles vergangen iſt und verändert — die Bäume gewachſen — die Menſchen entwichen — und nur die Berge und der Bach geblieben — da wirſt Du Dich ſee¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/46>, abgerufen am 28.03.2024.