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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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cher ihres wie in Mutterarmen hieng. Sie
erzählte, heute sey mit der Prinzessin ihre Mut¬
ter dagewesen und diese habe so viele Freude
über ihre genesende Farbe gehabt, so unend¬
liche Güte gegen die glückliche Tochter. "Sie
"mußte sich, (fuhr sie fort,) von mir ein wenig
"zeichnen lassen, damit ich sie nur länger an¬
"sehen und etwas von ihr dabehalten konnte.
"Jetzt zeichn' ich das Gesicht weiter aus, es ist
"aber gar zu schlecht gerathen." Sie konnte
ihre Phantasie weder vom Bilde, noch weniger
vom Urbilde loßwickeln. Freilich kann auf ei¬
nem töchterlichen Herzen -- oder gar in ihm --
kein schöneres Medaillon hängen als das müt¬
terliche; aber Albano glaubte doch heute, das
Gehenke nehme eine zu breite Stelle ein.

Sie sprach bloß von ihrer Mutter: "Ich sündi¬
"ge gewiß (sagte sie) -- sie fragte mich so freund¬
"lich, ob Du oft kämst, aber ich sagte nur ja
"und weiter nichts. O, guter Albano, wie gern
"hätt' ich ihr die ganze Seele offen hinge¬
"geben!"

Er antwortete, die Mutter schiene nicht so
offen zu seyn, sie wüßte vielleicht schon Alles

cher ihres wie in Mutterarmen hieng. Sie
erzählte, heute ſey mit der Prinzeſſin ihre Mut¬
ter dageweſen und dieſe habe ſo viele Freude
über ihre geneſende Farbe gehabt, ſo unend¬
liche Güte gegen die glückliche Tochter. „Sie
„mußte ſich, (fuhr ſie fort,) von mir ein wenig
„zeichnen laſſen, damit ich ſie nur länger an¬
„ſehen und etwas von ihr dabehalten konnte.
„Jetzt zeichn' ich das Geſicht weiter aus, es iſt
„aber gar zu ſchlecht gerathen.“ Sie konnte
ihre Phantaſie weder vom Bilde, noch weniger
vom Urbilde loßwickeln. Freilich kann auf ei¬
nem töchterlichen Herzen — oder gar in ihm —
kein ſchöneres Medaillon hängen als das müt¬
terliche; aber Albano glaubte doch heute, das
Gehenke nehme eine zu breite Stelle ein.

Sie ſprach bloß von ihrer Mutter: „Ich ſündi¬
„ge gewiß (ſagte ſie) — ſie fragte mich ſo freund¬
„lich, ob Du oft kämſt, aber ich ſagte nur ja
„und weiter nichts. O, guter Albano, wie gern
„hätt' ich ihr die ganze Seele offen hinge¬
„geben!“

Er antwortete, die Mutter ſchiene nicht ſo
offen zu ſeyn, ſie wüßte vielleicht ſchon Alles

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[36/0048] cher ihres wie in Mutterarmen hieng. Sie erzählte, heute ſey mit der Prinzeſſin ihre Mut¬ ter dageweſen und dieſe habe ſo viele Freude über ihre geneſende Farbe gehabt, ſo unend¬ liche Güte gegen die glückliche Tochter. „Sie „mußte ſich, (fuhr ſie fort,) von mir ein wenig „zeichnen laſſen, damit ich ſie nur länger an¬ „ſehen und etwas von ihr dabehalten konnte. „Jetzt zeichn' ich das Geſicht weiter aus, es iſt „aber gar zu ſchlecht gerathen.“ Sie konnte ihre Phantaſie weder vom Bilde, noch weniger vom Urbilde loßwickeln. Freilich kann auf ei¬ nem töchterlichen Herzen — oder gar in ihm — kein ſchöneres Medaillon hängen als das müt¬ terliche; aber Albano glaubte doch heute, das Gehenke nehme eine zu breite Stelle ein. Sie ſprach bloß von ihrer Mutter: „Ich ſündi¬ „ge gewiß (ſagte ſie) — ſie fragte mich ſo freund¬ „lich, ob Du oft kämſt, aber ich ſagte nur ja „und weiter nichts. O, guter Albano, wie gern „hätt' ich ihr die ganze Seele offen hinge¬ „geben!“ Er antwortete, die Mutter ſchiene nicht ſo offen zu ſeyn, ſie wüßte vielleicht ſchon Alles

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/48>, abgerufen am 25.04.2024.