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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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bürge. Die Höhen standen schon ins feste weisse
Leichentuch des Winters gehüllt und durch die
Thäler gieng nur der kalte Sturm lebendig hin
und her. Albano's Sehnen nach dem milden
Lande der Jugend wuchs zwischen den Stür¬
men und Alpen immer höher; und Rom's Bild
breitete sich kolossalisch aus, je länger es sich
ihm näherte. Gaspard ließ die Reise auf Flü¬
geln gehen, um den Regenwolken des Herbstes
vorzukommen.

In einer dunkeln Reise-Nacht arbeiteten
sie sich gleichsam durch das Gebürge hindurch,
gleich ihrem Gefährten, dem Adigo-Strom,
der einen Riesen-Felsen aufreisset und in die
milde Ebene stürzt und darin sanft weiter tau¬
melt. Die Sonne erschien -- und Italien.

Es hatte geregnet, eine laue Luft flatterte
von den Zypressenhügeln durch das Thal und
durch die Wein-Gehenke der Maulbeerbäume
her und hatte sich zwischen Blüthen und den
Früchten der Pomeranzen durchgedrängt -- der
Adigo schien wie eine geringelte Riesenschlange
auf der vielfarbigen Landschaft an den Land¬
häusern und Olivenwäldern zu ruhen und Re¬

bürge. Die Höhen ſtanden ſchon ins feſte weiſſe
Leichentuch des Winters gehüllt und durch die
Thäler gieng nur der kalte Sturm lebendig hin
und her. Albano's Sehnen nach dem milden
Lande der Jugend wuchs zwiſchen den Stür¬
men und Alpen immer höher; und Rom's Bild
breitete ſich koloſſaliſch aus, je länger es ſich
ihm näherte. Gaſpard ließ die Reiſe auf Flü¬
geln gehen, um den Regenwolken des Herbſtes
vorzukommen.

In einer dunkeln Reiſe-Nacht arbeiteten
ſie ſich gleichſam durch das Gebürge hindurch,
gleich ihrem Gefährten, dem Adigo-Strom,
der einen Rieſen-Felſen aufreiſſet und in die
milde Ebene ſtürzt und darin ſanft weiter tau¬
melt. Die Sonne erſchien — und Italien.

Es hatte geregnet, eine laue Luft flatterte
von den Zypreſſenhügeln durch das Thal und
durch die Wein-Gehenke der Maulbeerbäume
her und hatte ſich zwiſchen Blüthen und den
Früchten der Pomeranzen durchgedrängt — der
Adigo ſchien wie eine geringelte Rieſenſchlange
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[14/0026] bürge. Die Höhen ſtanden ſchon ins feſte weiſſe Leichentuch des Winters gehüllt und durch die Thäler gieng nur der kalte Sturm lebendig hin und her. Albano's Sehnen nach dem milden Lande der Jugend wuchs zwiſchen den Stür¬ men und Alpen immer höher; und Rom's Bild breitete ſich koloſſaliſch aus, je länger es ſich ihm näherte. Gaſpard ließ die Reiſe auf Flü¬ geln gehen, um den Regenwolken des Herbſtes vorzukommen. In einer dunkeln Reiſe-Nacht arbeiteten ſie ſich gleichſam durch das Gebürge hindurch, gleich ihrem Gefährten, dem Adigo-Strom, der einen Rieſen-Felſen aufreiſſet und in die milde Ebene ſtürzt und darin ſanft weiter tau¬ melt. Die Sonne erſchien — und Italien. Es hatte geregnet, eine laue Luft flatterte von den Zypreſſenhügeln durch das Thal und durch die Wein-Gehenke der Maulbeerbäume her und hatte ſich zwiſchen Blüthen und den Früchten der Pomeranzen durchgedrängt — der Adigo ſchien wie eine geringelte Rieſenſchlange auf der vielfarbigen Landſchaft an den Land¬ häuſern und Olivenwäldern zu ruhen und Re¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/26>, abgerufen am 28.03.2024.