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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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ihn. Er stand an der Granitschaale gegen das
Coliseo gekehrt, dessen Gebürgsrücken hoch in
Mondlicht stand, mit den tiefen Klüften, die
ihm die Sense der Zeit eingehauen -- scharf
standen die zerrissenen Bogen von Nero's gold¬
nem Hause wie mörderische Hauer darneben. --
Der palatinische Berg grünte voll Gärten und
auf zerbrochnen Tempel-Dächern nagte der
blühende Todtenkranz aus Epheu, und noch
glühten lebendige Ranunkeln um eingesenkte
Kapitäler. -- Die Quelle murmelte geschwätzig
und ewig, und die Sterne schaueten fest her¬
unter mit unvergänglichen Strahlen auf die
stille Wahlstatt, worüber der Winter der Zeit
gegangen, ohne einen Frühling nachzuführen --
die feurige Weltseele war aufgeflogen und der
kalte zerstückte Riese lag umher, auseinanderge¬
rissen waren die Riesen-Speichen des Schwung¬
rads, das einmal der Strom der Zeiten selber
trieb. -- Und noch dazu goß der Mond sein
Licht wie ätzendes Silberwasser auf die nackten
Säulen, und wollte das Coliseo und die Tem¬
pel und alles auflösen in ihre eignen Schat¬
ten! --

ihn. Er ſtand an der Granitſchaale gegen das
Coliſeo gekehrt, deſſen Gebürgsrücken hoch in
Mondlicht ſtand, mit den tiefen Klüften, die
ihm die Senſe der Zeit eingehauen — ſcharf
ſtanden die zerriſſenen Bogen von Nero's gold¬
nem Hauſe wie mörderiſche Hauer darneben. —
Der palatiniſche Berg grünte voll Gärten und
auf zerbrochnen Tempel-Dächern nagte der
blühende Todtenkranz aus Epheu, und noch
glühten lebendige Ranunkeln um eingeſenkte
Kapitäler. — Die Quelle murmelte geſchwätzig
und ewig, und die Sterne ſchaueten feſt her¬
unter mit unvergänglichen Strahlen auf die
ſtille Wahlſtatt, worüber der Winter der Zeit
gegangen, ohne einen Frühling nachzuführen —
die feurige Weltſeele war aufgeflogen und der
kalte zerſtückte Rieſe lag umher, auseinanderge¬
riſſen waren die Rieſen-Speichen des Schwung¬
rads, das einmal der Strom der Zeiten ſelber
trieb. — Und noch dazu goß der Mond ſein
Licht wie ätzendes Silberwaſſer auf die nackten
Säulen, und wollte das Coliſeo und die Tem¬
pel und alles auflöſen in ihre eignen Schat¬
ten! —

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[29/0041] ihn. Er ſtand an der Granitſchaale gegen das Coliſeo gekehrt, deſſen Gebürgsrücken hoch in Mondlicht ſtand, mit den tiefen Klüften, die ihm die Senſe der Zeit eingehauen — ſcharf ſtanden die zerriſſenen Bogen von Nero's gold¬ nem Hauſe wie mörderiſche Hauer darneben. — Der palatiniſche Berg grünte voll Gärten und auf zerbrochnen Tempel-Dächern nagte der blühende Todtenkranz aus Epheu, und noch glühten lebendige Ranunkeln um eingeſenkte Kapitäler. — Die Quelle murmelte geſchwätzig und ewig, und die Sterne ſchaueten feſt her¬ unter mit unvergänglichen Strahlen auf die ſtille Wahlſtatt, worüber der Winter der Zeit gegangen, ohne einen Frühling nachzuführen — die feurige Weltſeele war aufgeflogen und der kalte zerſtückte Rieſe lag umher, auseinanderge¬ riſſen waren die Rieſen-Speichen des Schwung¬ rads, das einmal der Strom der Zeiten ſelber trieb. — Und noch dazu goß der Mond ſein Licht wie ätzendes Silberwaſſer auf die nackten Säulen, und wollte das Coliſeo und die Tem¬ pel und alles auflöſen in ihre eignen Schat¬ ten! —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/41>, abgerufen am 25.04.2024.