Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung.
Thatsache, dass Namen von Gewässern im Jenisseigebiete, wie
Oja, Joga, Kolba, sich aus dem Finnischen und Lappischen als
Bach, Wasser und Fischwasser erklären, sowie dass der Jenissei
selbst im oberen Laufe Kem heisst, was in keiner andern Sprache
als der finnischen in der Form Kemi oder Kymi Strom bedeutet.

5. Nordasiaten von unbestimmter systematischer
Stellung
.

Es handelt sich in diesem Abschnitt nicht um die Schilderung
einer neuen Gruppe innerhalb der mongolischen Menschenstämme,
sondern vielmehr nur um das offene Bekenntniss, dass unser Lehr-
gebäude in unfertigem Zustande übergeben werden muss, insofern
wir drei vereinzelte Völkerschaften nicht einer der grösseren Ab-
theilungen anzuschliessen vermögen. Es gilt dies zunächst von den
Jenissei-Ostjaken, die mit den Ostjaken am Obi jedoch nichts
gemein haben, als ihren unglücklich gewählten Namen. Sie wohnen
am obern Laufe des Jenissei bis zur Mündung der untern Tun-
guska, anfangs nur auf dem linken, später auch auf dem rechten
Ufer. Ihre Sprache, die mit der uralaltaischen keine typische Ge-
meinschaft besitzt, zerfällt in sechs Mundarten, von denen wir nur
das Assan, Arinzi und das Kottische nennen wollen, letzteres zu
Castren's Zeiten nur noch von fünf Personen gesprochen, wie denn
überhaupt dieser Bruchtheil sibirischer Stämme bis auf 1000 Köpfe
zusammengeschmolzen ist und einem gänzlichen Erlöschen ent-
gegengehen muss, schon weil Jagd und Fischfang seinen einzigen
Nahrungserwerb bilden 1). Durch Leibesbeschaffenheit sind übrigens
die Jenissei-Ostjaken keineswegs von ihren sibirischen Nachbarn
zu trennen, so dass sie jedenfalls zu der mongolischen Race ge-
hören, innerhalb dieser aber eine selbständige Stellung einnehmen.

Beides gilt auch von den Jukagiren, die jetzt die Tundren
am sibirischen Eismeer von der Jana ostwärts bewohnen. Heden-
ström fand im Jahre 1809 auf den neusibirischen Inseln Spuren
von ehemaligen, damals aber schon ausgestorbenen jukagirischen

1) Latham, Varieties. p. 268. Castren, Vorlesungen. S. 87--88.

Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung.
Thatsache, dass Namen von Gewässern im Jenisseigebiete, wie
Oja, Joga, Kolba, sich aus dem Finnischen und Lappischen als
Bach, Wasser und Fischwasser erklären, sowie dass der Jenissei
selbst im oberen Laufe Kem heisst, was in keiner andern Sprache
als der finnischen in der Form Kemi oder Kymi Strom bedeutet.

5. Nordasiaten von unbestimmter systematischer
Stellung
.

Es handelt sich in diesem Abschnitt nicht um die Schilderung
einer neuen Gruppe innerhalb der mongolischen Menschenstämme,
sondern vielmehr nur um das offene Bekenntniss, dass unser Lehr-
gebäude in unfertigem Zustande übergeben werden muss, insofern
wir drei vereinzelte Völkerschaften nicht einer der grösseren Ab-
theilungen anzuschliessen vermögen. Es gilt dies zunächst von den
Jenissei-Ostjaken, die mit den Ostjaken am Obi jedoch nichts
gemein haben, als ihren unglücklich gewählten Namen. Sie wohnen
am obern Laufe des Jenissei bis zur Mündung der untern Tun-
guska, anfangs nur auf dem linken, später auch auf dem rechten
Ufer. Ihre Sprache, die mit der uralaltaischen keine typische Ge-
meinschaft besitzt, zerfällt in sechs Mundarten, von denen wir nur
das Assan, Arinzi und das Kottische nennen wollen, letzteres zu
Castrén’s Zeiten nur noch von fünf Personen gesprochen, wie denn
überhaupt dieser Bruchtheil sibirischer Stämme bis auf 1000 Köpfe
zusammengeschmolzen ist und einem gänzlichen Erlöschen ent-
gegengehen muss, schon weil Jagd und Fischfang seinen einzigen
Nahrungserwerb bilden 1). Durch Leibesbeschaffenheit sind übrigens
die Jenissei-Ostjaken keineswegs von ihren sibirischen Nachbarn
zu trennen, so dass sie jedenfalls zu der mongolischen Race ge-
hören, innerhalb dieser aber eine selbständige Stellung einnehmen.

Beides gilt auch von den Jukagiren, die jetzt die Tundren
am sibirischen Eismeer von der Jana ostwärts bewohnen. Heden-
ström fand im Jahre 1809 auf den neusibirischen Inseln Spuren
von ehemaligen, damals aber schon ausgestorbenen jukagirischen

1) Latham, Varieties. p. 268. Castrén, Vorlesungen. S. 87—88.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0431" n="413"/><fw place="top" type="header">Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung.</fw><lb/>
Thatsache, dass Namen von Gewässern im Jenisseigebiete, wie<lb/>
Oja, Joga, Kolba, sich aus dem Finnischen und Lappischen als<lb/>
Bach, Wasser und Fischwasser erklären, sowie dass der Jenissei<lb/>
selbst im oberen Laufe Kem heisst, was in keiner andern Sprache<lb/>
als der finnischen in der Form Kemi oder Kymi Strom bedeutet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>5. <hi rendition="#g">Nordasiaten von unbestimmter systematischer<lb/>
Stellung</hi>.</head><lb/>
            <p>Es handelt sich in diesem Abschnitt nicht um die Schilderung<lb/>
einer neuen Gruppe innerhalb der mongolischen Menschenstämme,<lb/>
sondern vielmehr nur um das offene Bekenntniss, dass unser Lehr-<lb/>
gebäude in unfertigem Zustande übergeben werden muss, insofern<lb/>
wir drei vereinzelte Völkerschaften nicht einer der grösseren Ab-<lb/>
theilungen anzuschliessen vermögen. Es gilt dies zunächst von den<lb/>
Jenissei-Ostjaken, die mit den Ostjaken am Obi jedoch nichts<lb/>
gemein haben, als ihren unglücklich gewählten Namen. Sie wohnen<lb/>
am obern Laufe des Jenissei bis zur Mündung der untern Tun-<lb/>
guska, anfangs nur auf dem linken, später auch auf dem rechten<lb/>
Ufer. Ihre Sprache, die mit der uralaltaischen keine typische Ge-<lb/>
meinschaft besitzt, zerfällt in sechs Mundarten, von denen wir nur<lb/>
das Assan, Arinzi und das Kottische nennen wollen, letzteres zu<lb/>
Castrén&#x2019;s Zeiten nur noch von fünf Personen gesprochen, wie denn<lb/>
überhaupt dieser Bruchtheil sibirischer Stämme bis auf 1000 Köpfe<lb/>
zusammengeschmolzen ist und einem gänzlichen Erlöschen ent-<lb/>
gegengehen muss, schon weil Jagd und Fischfang seinen einzigen<lb/>
Nahrungserwerb bilden <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Latham</hi>, Varieties. p. 268. <hi rendition="#g">Castrén</hi>, Vorlesungen. S. 87&#x2014;88.</note>. Durch Leibesbeschaffenheit sind übrigens<lb/>
die Jenissei-Ostjaken keineswegs von ihren sibirischen Nachbarn<lb/>
zu trennen, so dass sie jedenfalls zu der mongolischen Race ge-<lb/>
hören, innerhalb dieser aber eine selbständige Stellung einnehmen.</p><lb/>
            <p>Beides gilt auch von den Jukagiren, die jetzt die Tundren<lb/>
am sibirischen Eismeer von der Jana ostwärts bewohnen. Heden-<lb/>
ström fand im Jahre 1809 auf den neusibirischen Inseln Spuren<lb/>
von ehemaligen, damals aber schon ausgestorbenen jukagirischen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0431] Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung. Thatsache, dass Namen von Gewässern im Jenisseigebiete, wie Oja, Joga, Kolba, sich aus dem Finnischen und Lappischen als Bach, Wasser und Fischwasser erklären, sowie dass der Jenissei selbst im oberen Laufe Kem heisst, was in keiner andern Sprache als der finnischen in der Form Kemi oder Kymi Strom bedeutet. 5. Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung. Es handelt sich in diesem Abschnitt nicht um die Schilderung einer neuen Gruppe innerhalb der mongolischen Menschenstämme, sondern vielmehr nur um das offene Bekenntniss, dass unser Lehr- gebäude in unfertigem Zustande übergeben werden muss, insofern wir drei vereinzelte Völkerschaften nicht einer der grösseren Ab- theilungen anzuschliessen vermögen. Es gilt dies zunächst von den Jenissei-Ostjaken, die mit den Ostjaken am Obi jedoch nichts gemein haben, als ihren unglücklich gewählten Namen. Sie wohnen am obern Laufe des Jenissei bis zur Mündung der untern Tun- guska, anfangs nur auf dem linken, später auch auf dem rechten Ufer. Ihre Sprache, die mit der uralaltaischen keine typische Ge- meinschaft besitzt, zerfällt in sechs Mundarten, von denen wir nur das Assan, Arinzi und das Kottische nennen wollen, letzteres zu Castrén’s Zeiten nur noch von fünf Personen gesprochen, wie denn überhaupt dieser Bruchtheil sibirischer Stämme bis auf 1000 Köpfe zusammengeschmolzen ist und einem gänzlichen Erlöschen ent- gegengehen muss, schon weil Jagd und Fischfang seinen einzigen Nahrungserwerb bilden 1). Durch Leibesbeschaffenheit sind übrigens die Jenissei-Ostjaken keineswegs von ihren sibirischen Nachbarn zu trennen, so dass sie jedenfalls zu der mongolischen Race ge- hören, innerhalb dieser aber eine selbständige Stellung einnehmen. Beides gilt auch von den Jukagiren, die jetzt die Tundren am sibirischen Eismeer von der Jana ostwärts bewohnen. Heden- ström fand im Jahre 1809 auf den neusibirischen Inseln Spuren von ehemaligen, damals aber schon ausgestorbenen jukagirischen 1) Latham, Varieties. p. 268. Castrén, Vorlesungen. S. 87—88.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/431
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/431>, abgerufen am 19.04.2024.