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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Ehe und väterliche Gewalt.
Negern Afrikas wird ebenfalls frühzeitig zur Ehe geschritten, nur
lassen sich dort die Alterstufen schwer bestimmen, weil die sorg-
losen Bewohner ihre Lebensdauer durch Zeitbeobachtungen nicht
genau festzusetzen pflegen. Bei den Hottentotten sah Kolbe Mütter
von 13 Jahren 1). Die Australier liefern ihre Töchter mit dem
12. Jahre, oft noch früher ihren Männern aus 2). Es ist jedoch erst
noch strenger festzustellen, ob das, was für uns den Anstrich einer
Hochzeit besitzt, nicht eine vorausgehende feierliche Verlobung sei,
der erst später die Vollziehung der Ehe nachfolge 3).

Die bisherigen Thatsachen, meist schon anderwärts mitgetheilt,
werden keinen Sachkundigen überraschen. Ebenso wenig dürfte
es neu sein, dass auch Polarvölker frühzeitig das Vermögen der
Geschlechtserneuerung erwerben. Bisher wurde diess hauptsäch-
lich bei den Eskimo beobachtet, aber Adolf Erman hat neuerdings
wieder daran erinnert, dass auf der aleutischen Insel Atcha der
Knabe, sobald er die Baidare lenken, das Mädchen, sobald es
fertig nähen kann, beide gewöhnlich mit dem 10. Lebensjahre zur
Ehe schreiten 4). Eine physiologische Erklärung, warum bei grösserer
Annäherung an den Aequator und an den nördlichen Polarkreis
der Zeitraum der Unreife sich verkürze, ist noch nicht gegeben
worden. Wahrscheinlich hat die Polhöhe des Wohnorts zu dieser
Erscheinung gar keine Beziehung, viel näher liegt es an die Dun-
kelung der Haut zu denken, denn auch bei anderen nord-
amerikanischen Stämmen heirathen die Mädchen im 12. bis 14., ja
bisweilen schon im 11. Jahre 5). Anders halten es im Süden die
Patagonier, welche erst eine Reife von 16 Jahren abwarten 6).

Wo sich der Trieb der Natur zeitig regt, da welken auch
früher die Reize und erlischt mit 30 oft mit 25 Jahren schon jeder
Segen des weiblichen Körpers. Tacitus spricht sicherlich eine
richtige Erfahrung aus, wenn er die lange Jugenddauer bei unsern

1) Vorgebirge der Guten Hoffnung. S. 424.
2) Eyre, Central Australia. tom. II, p. 319.
3) Ueber das Heirathsalter bei verschiednen Menschenstämmen vgl. die
erschöpfende Arbeit von Dr. Ploss in dem Jahresbericht des Leipz. Vereins
für Erdkunde 1872.
4) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Heft 3. S. 162.
5) Catlin, Die Indianer Nordamerikas. cap. 17. S. 89.
6) Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190.

Ehe und väterliche Gewalt.
Negern Afrikas wird ebenfalls frühzeitig zur Ehe geschritten, nur
lassen sich dort die Alterstufen schwer bestimmen, weil die sorg-
losen Bewohner ihre Lebensdauer durch Zeitbeobachtungen nicht
genau festzusetzen pflegen. Bei den Hottentotten sah Kolbe Mütter
von 13 Jahren 1). Die Australier liefern ihre Töchter mit dem
12. Jahre, oft noch früher ihren Männern aus 2). Es ist jedoch erst
noch strenger festzustellen, ob das, was für uns den Anstrich einer
Hochzeit besitzt, nicht eine vorausgehende feierliche Verlobung sei,
der erst später die Vollziehung der Ehe nachfolge 3).

Die bisherigen Thatsachen, meist schon anderwärts mitgetheilt,
werden keinen Sachkundigen überraschen. Ebenso wenig dürfte
es neu sein, dass auch Polarvölker frühzeitig das Vermögen der
Geschlechtserneuerung erwerben. Bisher wurde diess hauptsäch-
lich bei den Eskimo beobachtet, aber Adolf Erman hat neuerdings
wieder daran erinnert, dass auf der alëutischen Insel Atcha der
Knabe, sobald er die Baidare lenken, das Mädchen, sobald es
fertig nähen kann, beide gewöhnlich mit dem 10. Lebensjahre zur
Ehe schreiten 4). Eine physiologische Erklärung, warum bei grösserer
Annäherung an den Aequator und an den nördlichen Polarkreis
der Zeitraum der Unreife sich verkürze, ist noch nicht gegeben
worden. Wahrscheinlich hat die Polhöhe des Wohnorts zu dieser
Erscheinung gar keine Beziehung, viel näher liegt es an die Dun-
kelung der Haut zu denken, denn auch bei anderen nord-
amerikanischen Stämmen heirathen die Mädchen im 12. bis 14., ja
bisweilen schon im 11. Jahre 5). Anders halten es im Süden die
Patagonier, welche erst eine Reife von 16 Jahren abwarten 6).

Wo sich der Trieb der Natur zeitig regt, da welken auch
früher die Reize und erlischt mit 30 oft mit 25 Jahren schon jeder
Segen des weiblichen Körpers. Tacitus spricht sicherlich eine
richtige Erfahrung aus, wenn er die lange Jugenddauer bei unsern

1) Vorgebirge der Guten Hoffnung. S. 424.
2) Eyre, Central Australia. tom. II, p. 319.
3) Ueber das Heirathsalter bei verschiednen Menschenstämmen vgl. die
erschöpfende Arbeit von Dr. Ploss in dem Jahresbericht des Leipz. Vereins
für Erdkunde 1872.
4) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Heft 3. S. 162.
5) Catlin, Die Indianer Nordamerikas. cap. 17. S. 89.
6) Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190.
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[228/0246] Ehe und väterliche Gewalt. Negern Afrikas wird ebenfalls frühzeitig zur Ehe geschritten, nur lassen sich dort die Alterstufen schwer bestimmen, weil die sorg- losen Bewohner ihre Lebensdauer durch Zeitbeobachtungen nicht genau festzusetzen pflegen. Bei den Hottentotten sah Kolbe Mütter von 13 Jahren 1). Die Australier liefern ihre Töchter mit dem 12. Jahre, oft noch früher ihren Männern aus 2). Es ist jedoch erst noch strenger festzustellen, ob das, was für uns den Anstrich einer Hochzeit besitzt, nicht eine vorausgehende feierliche Verlobung sei, der erst später die Vollziehung der Ehe nachfolge 3). Die bisherigen Thatsachen, meist schon anderwärts mitgetheilt, werden keinen Sachkundigen überraschen. Ebenso wenig dürfte es neu sein, dass auch Polarvölker frühzeitig das Vermögen der Geschlechtserneuerung erwerben. Bisher wurde diess hauptsäch- lich bei den Eskimo beobachtet, aber Adolf Erman hat neuerdings wieder daran erinnert, dass auf der alëutischen Insel Atcha der Knabe, sobald er die Baidare lenken, das Mädchen, sobald es fertig nähen kann, beide gewöhnlich mit dem 10. Lebensjahre zur Ehe schreiten 4). Eine physiologische Erklärung, warum bei grösserer Annäherung an den Aequator und an den nördlichen Polarkreis der Zeitraum der Unreife sich verkürze, ist noch nicht gegeben worden. Wahrscheinlich hat die Polhöhe des Wohnorts zu dieser Erscheinung gar keine Beziehung, viel näher liegt es an die Dun- kelung der Haut zu denken, denn auch bei anderen nord- amerikanischen Stämmen heirathen die Mädchen im 12. bis 14., ja bisweilen schon im 11. Jahre 5). Anders halten es im Süden die Patagonier, welche erst eine Reife von 16 Jahren abwarten 6). Wo sich der Trieb der Natur zeitig regt, da welken auch früher die Reize und erlischt mit 30 oft mit 25 Jahren schon jeder Segen des weiblichen Körpers. Tacitus spricht sicherlich eine richtige Erfahrung aus, wenn er die lange Jugenddauer bei unsern 1) Vorgebirge der Guten Hoffnung. S. 424. 2) Eyre, Central Australia. tom. II, p. 319. 3) Ueber das Heirathsalter bei verschiednen Menschenstämmen vgl. die erschöpfende Arbeit von Dr. Ploss in dem Jahresbericht des Leipz. Vereins für Erdkunde 1872. 4) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Heft 3. S. 162. 5) Catlin, Die Indianer Nordamerikas. cap. 17. S. 89. 6) Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/246>, abgerufen am 19.04.2024.