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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der israelitische Monotheismus.
schmutzt, und auf Reinheit dringt überall das Sittengebot der
Parsen. Gleichen Schutz vor Befleckung genoss das fliessende
Wasser. Deshalb war es verdienstlich Brücken zu erbauen, um
das Durchwaten der Ströme abzuwenden. Da die Todten weder
verbrannt noch ins Wasser geworfen, noch die ebenfalls heilige
Erde durch sie besudelt werden durfte, gab man die Leichen in
ummauerten ringförmigen Plätzen, den Thürmen des Schweigens,
den Vögeln preis 1).

Der Begriff der Sünde war bei den Anhängern Zarathustra's
ein sehr gemischter, denn sie konnte in einem Verstoss gegen die
schamanistischen Vorschriften, also einer Verunreinigung oder in
einer sittlich verwerflichen Handlung bestehen. Unter letzteren
galt ihnen das Lügen als eine schwere Schande 2), der Betrug noch
schlimmer als der Raub, der Diebstahl schon deswegen als Ver-
brechen, weil er im Geheimen betrieben wird, selbst Geld zu leihen,
schien sträflich, weil es mit einem Betruge des Gläubigers zu enden
drohte 3). Auf Redlichkeit und Reinheit drang und dringt das par-
sische Sittengesetz, und keine Religionsstiftung hat wie das Maz-
dayasna bis auf den heutigen Tag die Achtung der Andersgläubigen
in so hohem Masse genossen. Freundlich gedenkt auch das erste
Evangelium der Magier, die aus dem Morgenlande kamen.

13. Der israelitische Monotheismus.

Für die Sittengeschichte des menschlichen Geschlechtes ist
nichts bedeutungsvoller als die Entwicklung des Gottesgedankens in
monotheistischer Richtung. Das alte Testament in seinen arglos
und treuherzig gegebnen Sagen und Erzählungen lässt uns als
treuer Spiegel das langsame Reifen dieser oft aufs höchste be-

1) Auch in Medien wurden nicht eher die Leichen mit Wachs übergossen
in die Erde gelegt oder wie in den Königsgrüften bei Persepolis bestattet,
als bis die Knochen vom Fleisch entblösst waren. Dass Cyrus, als Feuer-
anbeter, den Crösus zum Holzstoss verurtheilt haben sollte, ist wenig glaub-
haft, viel eher ist zu vermuthen, dass der lydische König sich seinem Gotte
Sandon verbrennen wollte. F. Justi a. a. O. S. 223. Rapp dagegen
nimmt an, dass im westlichen Eran die oben angeführten Bestattungs-
gebräuche nicht üblich waren, sondern nur dem Osten angehörten.
2) Herodot I, 138.
3) Duncker, Gesch. des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 350--359.

Der israelitische Monotheismus.
schmutzt, und auf Reinheit dringt überall das Sittengebot der
Parsen. Gleichen Schutz vor Befleckung genoss das fliessende
Wasser. Deshalb war es verdienstlich Brücken zu erbauen, um
das Durchwaten der Ströme abzuwenden. Da die Todten weder
verbrannt noch ins Wasser geworfen, noch die ebenfalls heilige
Erde durch sie besudelt werden durfte, gab man die Leichen in
ummauerten ringförmigen Plätzen, den Thürmen des Schweigens,
den Vögeln preis 1).

Der Begriff der Sünde war bei den Anhängern Zarathustra’s
ein sehr gemischter, denn sie konnte in einem Verstoss gegen die
schamanistischen Vorschriften, also einer Verunreinigung oder in
einer sittlich verwerflichen Handlung bestehen. Unter letzteren
galt ihnen das Lügen als eine schwere Schande 2), der Betrug noch
schlimmer als der Raub, der Diebstahl schon deswegen als Ver-
brechen, weil er im Geheimen betrieben wird, selbst Geld zu leihen,
schien sträflich, weil es mit einem Betruge des Gläubigers zu enden
drohte 3). Auf Redlichkeit und Reinheit drang und dringt das par-
sische Sittengesetz, und keine Religionsstiftung hat wie das Maz-
dayasna bis auf den heutigen Tag die Achtung der Andersgläubigen
in so hohem Masse genossen. Freundlich gedenkt auch das erste
Evangelium der Magier, die aus dem Morgenlande kamen.

13. Der israelitische Monotheismus.

Für die Sittengeschichte des menschlichen Geschlechtes ist
nichts bedeutungsvoller als die Entwicklung des Gottesgedankens in
monotheistischer Richtung. Das alte Testament in seinen arglos
und treuherzig gegebnen Sagen und Erzählungen lässt uns als
treuer Spiegel das langsame Reifen dieser oft aufs höchste be-

1) Auch in Medien wurden nicht eher die Leichen mit Wachs übergossen
in die Erde gelegt oder wie in den Königsgrüften bei Persepolis bestattet,
als bis die Knochen vom Fleisch entblösst waren. Dass Cyrus, als Feuer-
anbeter, den Crösus zum Holzstoss verurtheilt haben sollte, ist wenig glaub-
haft, viel eher ist zu vermuthen, dass der lydische König sich seinem Gotte
Sandon verbrennen wollte. F. Justi a. a. O. S. 223. Rapp dagegen
nimmt an, dass im westlichen Erân die oben angeführten Bestattungs-
gebräuche nicht üblich waren, sondern nur dem Osten angehörten.
2) Herodot I, 138.
3) Duncker, Gesch. des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 350—359.
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[299/0317] Der israelitische Monotheismus. schmutzt, und auf Reinheit dringt überall das Sittengebot der Parsen. Gleichen Schutz vor Befleckung genoss das fliessende Wasser. Deshalb war es verdienstlich Brücken zu erbauen, um das Durchwaten der Ströme abzuwenden. Da die Todten weder verbrannt noch ins Wasser geworfen, noch die ebenfalls heilige Erde durch sie besudelt werden durfte, gab man die Leichen in ummauerten ringförmigen Plätzen, den Thürmen des Schweigens, den Vögeln preis 1). Der Begriff der Sünde war bei den Anhängern Zarathustra’s ein sehr gemischter, denn sie konnte in einem Verstoss gegen die schamanistischen Vorschriften, also einer Verunreinigung oder in einer sittlich verwerflichen Handlung bestehen. Unter letzteren galt ihnen das Lügen als eine schwere Schande 2), der Betrug noch schlimmer als der Raub, der Diebstahl schon deswegen als Ver- brechen, weil er im Geheimen betrieben wird, selbst Geld zu leihen, schien sträflich, weil es mit einem Betruge des Gläubigers zu enden drohte 3). Auf Redlichkeit und Reinheit drang und dringt das par- sische Sittengesetz, und keine Religionsstiftung hat wie das Maz- dayasna bis auf den heutigen Tag die Achtung der Andersgläubigen in so hohem Masse genossen. Freundlich gedenkt auch das erste Evangelium der Magier, die aus dem Morgenlande kamen. 13. Der israelitische Monotheismus. Für die Sittengeschichte des menschlichen Geschlechtes ist nichts bedeutungsvoller als die Entwicklung des Gottesgedankens in monotheistischer Richtung. Das alte Testament in seinen arglos und treuherzig gegebnen Sagen und Erzählungen lässt uns als treuer Spiegel das langsame Reifen dieser oft aufs höchste be- 1) Auch in Medien wurden nicht eher die Leichen mit Wachs übergossen in die Erde gelegt oder wie in den Königsgrüften bei Persepolis bestattet, als bis die Knochen vom Fleisch entblösst waren. Dass Cyrus, als Feuer- anbeter, den Crösus zum Holzstoss verurtheilt haben sollte, ist wenig glaub- haft, viel eher ist zu vermuthen, dass der lydische König sich seinem Gotte Sandon verbrennen wollte. F. Justi a. a. O. S. 223. Rapp dagegen nimmt an, dass im westlichen Erân die oben angeführten Bestattungs- gebräuche nicht üblich waren, sondern nur dem Osten angehörten. 2) Herodot I, 138. 3) Duncker, Gesch. des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 350—359.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/317>, abgerufen am 25.04.2024.