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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
römischen Curie, sondern auch von protestantischen Eiferern die
neue Wahrheit verdammt. Der wahre Schöpfer wurde, weil er bei
seinen Werken nicht ptolemäisch, sondern copernicanisch verfahren
war, in der Person derer, die seine Wahrheiten verkündigten, auf
den Index gesetzt, und als Ketzer diejenigen verfolgt, auf die
Gott, wie Kepler von sich selbst schreibt, sechstausend Jahre ge-
wartet hatte, damit sie seine Werke erkennen sollten 1). Auch
jetzt stehen wieder zwei Schöpfer vor uns, der Schöpfer, wie ihn
Cuvier sich dachte, der seine Werke vernichtet, weil er bessere
ersonnen hat, und der Schöpfer, wie ihn Darwin sich denkt, der
das Belebte veränderlich geschaffen, die Richtung dieses Gestalten-
wechsels aber vorausgesehen hat, und nun die Uhr ablaufen lässt
ohne ihren Gang zu stören. Ein einziger fossiler Fund, den wir
übrigens weder herbei sehnen noch voraus ankündigen wollen,
könnte morgen schon bekräftigen, dass der wahre Schöpfer der
Darwinschen Vorstellung näher stehe als der von Cuvier, und die
unbesonnenen Eiferer würden dann wie die Verfolger Galileis sich
anzuklagen haben, dass sie den wahren Gott zu Gunsten eines
wissenschaftlichen Phantoms verfolgt hätten. Kennt doch gerade
die Geschichte der Umwandlungslehre bereits den Fall einer glän-
zenden Widerlegung. Cuvier brachte den Vorgänger Darwins, La-
marck, damit zum Schweigen, dass er ihm auferlegte, eine Mittel-
form zwischen dem Paläotherium und dem jetztigen Pferd aufzu-
finden, wenn eine Artenumwandelung aus jenem älteren in das neuere
Geschöpf stattgefunden haben solle. Cuvier, wenn er noch lebte,
müsste beschämt bekennen, sobald er in irgend einem unsrer Mu-
seen das zierliche Hipparion der Vorwelt mit den zwei After-
hufen erblickte, dass seine Forderung streng erfüllt worden sei 2).

Obgleich Darwin seine Lehre von der Artenwandelung nicht
streng begründen konnte, hat er doch die Glaubwürdigkeit des
gegentheiligen Dogmas von der Unveränderlichkeit der Artenmerk-
male tief geschwächt und dadurch im Gebiete der Völkerkunde
die Vermuthung bekräftigt, dass alle Racen einer Urform entsprungen
und durch die Anhäufung kleiner durch ungestörte Vererbung be-
harrlich gewordner Unterschiede sich zu Spielarten ausgebildet haben.

1) C. G. Reuschle, Kepler und die Astronomie. Frankf. 1870. S. 127.
2) Richard Owen, Anatomy of Vertebrates. London 1868. tom. III.
p. 791.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
römischen Curie, sondern auch von protestantischen Eiferern die
neue Wahrheit verdammt. Der wahre Schöpfer wurde, weil er bei
seinen Werken nicht ptolemäisch, sondern copernicanisch verfahren
war, in der Person derer, die seine Wahrheiten verkündigten, auf
den Index gesetzt, und als Ketzer diejenigen verfolgt, auf die
Gott, wie Kepler von sich selbst schreibt, sechstausend Jahre ge-
wartet hatte, damit sie seine Werke erkennen sollten 1). Auch
jetzt stehen wieder zwei Schöpfer vor uns, der Schöpfer, wie ihn
Cuvier sich dachte, der seine Werke vernichtet, weil er bessere
ersonnen hat, und der Schöpfer, wie ihn Darwin sich denkt, der
das Belebte veränderlich geschaffen, die Richtung dieses Gestalten-
wechsels aber vorausgesehen hat, und nun die Uhr ablaufen lässt
ohne ihren Gang zu stören. Ein einziger fossiler Fund, den wir
übrigens weder herbei sehnen noch voraus ankündigen wollen,
könnte morgen schon bekräftigen, dass der wahre Schöpfer der
Darwinschen Vorstellung näher stehe als der von Cuvier, und die
unbesonnenen Eiferer würden dann wie die Verfolger Galileis sich
anzuklagen haben, dass sie den wahren Gott zu Gunsten eines
wissenschaftlichen Phantoms verfolgt hätten. Kennt doch gerade
die Geschichte der Umwandlungslehre bereits den Fall einer glän-
zenden Widerlegung. Cuvier brachte den Vorgänger Darwins, La-
marck, damit zum Schweigen, dass er ihm auferlegte, eine Mittel-
form zwischen dem Paläotherium und dem jetztigen Pferd aufzu-
finden, wenn eine Artenumwandelung aus jenem älteren in das neuere
Geschöpf stattgefunden haben solle. Cuvier, wenn er noch lebte,
müsste beschämt bekennen, sobald er in irgend einem unsrer Mu-
seen das zierliche Hipparion der Vorwelt mit den zwei After-
hufen erblickte, dass seine Forderung streng erfüllt worden sei 2).

Obgleich Darwin seine Lehre von der Artenwandelung nicht
streng begründen konnte, hat er doch die Glaubwürdigkeit des
gegentheiligen Dogmas von der Unveränderlichkeit der Artenmerk-
male tief geschwächt und dadurch im Gebiete der Völkerkunde
die Vermuthung bekräftigt, dass alle Racen einer Urform entsprungen
und durch die Anhäufung kleiner durch ungestörte Vererbung be-
harrlich gewordner Unterschiede sich zu Spielarten ausgebildet haben.

1) C. G. Reuschle, Kepler und die Astronomie. Frankf. 1870. S. 127.
2) Richard Owen, Anatomy of Vertebrates. London 1868. tom. III.
p. 791.
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[20/0038] Arteneinheit des Menschengeschlechtes. römischen Curie, sondern auch von protestantischen Eiferern die neue Wahrheit verdammt. Der wahre Schöpfer wurde, weil er bei seinen Werken nicht ptolemäisch, sondern copernicanisch verfahren war, in der Person derer, die seine Wahrheiten verkündigten, auf den Index gesetzt, und als Ketzer diejenigen verfolgt, auf die Gott, wie Kepler von sich selbst schreibt, sechstausend Jahre ge- wartet hatte, damit sie seine Werke erkennen sollten 1). Auch jetzt stehen wieder zwei Schöpfer vor uns, der Schöpfer, wie ihn Cuvier sich dachte, der seine Werke vernichtet, weil er bessere ersonnen hat, und der Schöpfer, wie ihn Darwin sich denkt, der das Belebte veränderlich geschaffen, die Richtung dieses Gestalten- wechsels aber vorausgesehen hat, und nun die Uhr ablaufen lässt ohne ihren Gang zu stören. Ein einziger fossiler Fund, den wir übrigens weder herbei sehnen noch voraus ankündigen wollen, könnte morgen schon bekräftigen, dass der wahre Schöpfer der Darwinschen Vorstellung näher stehe als der von Cuvier, und die unbesonnenen Eiferer würden dann wie die Verfolger Galileis sich anzuklagen haben, dass sie den wahren Gott zu Gunsten eines wissenschaftlichen Phantoms verfolgt hätten. Kennt doch gerade die Geschichte der Umwandlungslehre bereits den Fall einer glän- zenden Widerlegung. Cuvier brachte den Vorgänger Darwins, La- marck, damit zum Schweigen, dass er ihm auferlegte, eine Mittel- form zwischen dem Paläotherium und dem jetztigen Pferd aufzu- finden, wenn eine Artenumwandelung aus jenem älteren in das neuere Geschöpf stattgefunden haben solle. Cuvier, wenn er noch lebte, müsste beschämt bekennen, sobald er in irgend einem unsrer Mu- seen das zierliche Hipparion der Vorwelt mit den zwei After- hufen erblickte, dass seine Forderung streng erfüllt worden sei 2). Obgleich Darwin seine Lehre von der Artenwandelung nicht streng begründen konnte, hat er doch die Glaubwürdigkeit des gegentheiligen Dogmas von der Unveränderlichkeit der Artenmerk- male tief geschwächt und dadurch im Gebiete der Völkerkunde die Vermuthung bekräftigt, dass alle Racen einer Urform entsprungen und durch die Anhäufung kleiner durch ungestörte Vererbung be- harrlich gewordner Unterschiede sich zu Spielarten ausgebildet haben. 1) C. G. Reuschle, Kepler und die Astronomie. Frankf. 1870. S. 127. 2) Richard Owen, Anatomy of Vertebrates. London 1868. tom. III. p. 791.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/38>, abgerufen am 16.04.2024.