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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der malayische Stamm.
alterthümlicher geblieben, die westlichen oder asiatischen Mund-
arten sind reicher und zugleich werden bei ihnen durch Laut-
veränderungen die Form und Stoffelemente der Wurzelgruppen
inniger mit einander verbunden 1). Die Heimat wo jene Ursprache
sich entwickelte, lag im südöstlichen Asien, entweder auf den
grossen Sundainseln oder auf den Ausläufern des Festlandes. Von
diesem Herde aus, schwärmte ein Theil der seetüchtig geworde-
nen Familie gegen Osten aus und bevölkerte die Eilande der
Südsee bis zur Havaigruppe gegen Nordost und der Osterinsel
im äussersten Osten. Dieser Bruchtheil der Malayen kam in viel-
fache Berührung mit Papuanen und es entstanden dadurch Misch-
linge die wir jetzt als Mikronesier zusammenfassen.

Die Zeit, wann sich die polynesischen Malayen von ihren
asiatischen Geschwistern trennten, lässt sich bis jetzt auch nicht
annähernd begrenzen. Wohl bemerkte schon ein geistvoller, vor-
zeitig uns entrissener Botaniker, Berthold Seemann, dass der Palm-
wein, der aus den Wunden der Cocosblüthenscheide abgezapft
wird, Toddy oder Taddy bei den Malayen der Sundainseln heisse.
Dieses Wort stammt aus dem Sanskrit, folglich haben brahma-
nische Hindu die wichtige Kunst der Palmweinbereitung erst auf
den ostasiatischen Inseln eingebürgert 2). Da nun die Cocospalme
wahrscheinlich von Ost nach West sich verbreitet hat, keiner
tropischen Insel der Südsee fehlt, ihre Nuss den Bewohnern
der Atolle oder Korallengruppen als tägliche Nahrung, ja oft als
das einzige Mittel zur Stillung des Durstes dient, so ist es kaum
glaublich dass die Polynesier, wenn sie vor ihrer Auswanderung
das Geheimniss der Palmweinbereitung gekannt hätten, letztere jemals
wieder aufgegeben haben sollten. Da ihnen aber zur Zeit der
ersten europäischen Besucher jenes Genussmittel völlig fremd war,
so muss ihre Auswanderung vor der Ankunft sanskritredender
Indier auf Java erfolgt sein, also jedenfalls vor dem Beginn der
Zeitrechnung des Saka oder Salivana, die etwa um das Jahr 78
v. Chr. eingeführt wurde 3). Wir gelangen mit dieser Schluss-
folgerung aber nur zu einer allzukurzen Vergangenheit. Weit

1) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Abth.
S. 20. S. 45.
2) Berthold Seemann, Dottings on the roadside. p. 153.
3) Crawfurd, Dictionary of the Indian Islands. p. 137.

Der malayische Stamm.
alterthümlicher geblieben, die westlichen oder asiatischen Mund-
arten sind reicher und zugleich werden bei ihnen durch Laut-
veränderungen die Form und Stoffelemente der Wurzelgruppen
inniger mit einander verbunden 1). Die Heimat wo jene Ursprache
sich entwickelte, lag im südöstlichen Asien, entweder auf den
grossen Sundainseln oder auf den Ausläufern des Festlandes. Von
diesem Herde aus, schwärmte ein Theil der seetüchtig geworde-
nen Familie gegen Osten aus und bevölkerte die Eilande der
Südsee bis zur Havaigruppe gegen Nordost und der Osterinsel
im äussersten Osten. Dieser Bruchtheil der Malayen kam in viel-
fache Berührung mit Papuanen und es entstanden dadurch Misch-
linge die wir jetzt als Mikronesier zusammenfassen.

Die Zeit, wann sich die polynesischen Malayen von ihren
asiatischen Geschwistern trennten, lässt sich bis jetzt auch nicht
annähernd begrenzen. Wohl bemerkte schon ein geistvoller, vor-
zeitig uns entrissener Botaniker, Berthold Seemann, dass der Palm-
wein, der aus den Wunden der Cocosblüthenscheide abgezapft
wird, Toddy oder Taddy bei den Malayen der Sundainseln heisse.
Dieses Wort stammt aus dem Sanskrit, folglich haben brahma-
nische Hindu die wichtige Kunst der Palmweinbereitung erst auf
den ostasiatischen Inseln eingebürgert 2). Da nun die Cocospalme
wahrscheinlich von Ost nach West sich verbreitet hat, keiner
tropischen Insel der Südsee fehlt, ihre Nuss den Bewohnern
der Atolle oder Korallengruppen als tägliche Nahrung, ja oft als
das einzige Mittel zur Stillung des Durstes dient, so ist es kaum
glaublich dass die Polynesier, wenn sie vor ihrer Auswanderung
das Geheimniss der Palmweinbereitung gekannt hätten, letztere jemals
wieder aufgegeben haben sollten. Da ihnen aber zur Zeit der
ersten europäischen Besucher jenes Genussmittel völlig fremd war,
so muss ihre Auswanderung vor der Ankunft sanskritredender
Indier auf Java erfolgt sein, also jedenfalls vor dem Beginn der
Zeitrechnung des Saka oder Salivana, die etwa um das Jahr 78
v. Chr. eingeführt wurde 3). Wir gelangen mit dieser Schluss-
folgerung aber nur zu einer allzukurzen Vergangenheit. Weit

1) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Abth.
S. 20. S. 45.
2) Berthold Seemann, Dottings on the roadside. p. 153.
3) Crawfurd, Dictionary of the Indian Islands. p. 137.
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[370/0388] Der malayische Stamm. alterthümlicher geblieben, die westlichen oder asiatischen Mund- arten sind reicher und zugleich werden bei ihnen durch Laut- veränderungen die Form und Stoffelemente der Wurzelgruppen inniger mit einander verbunden 1). Die Heimat wo jene Ursprache sich entwickelte, lag im südöstlichen Asien, entweder auf den grossen Sundainseln oder auf den Ausläufern des Festlandes. Von diesem Herde aus, schwärmte ein Theil der seetüchtig geworde- nen Familie gegen Osten aus und bevölkerte die Eilande der Südsee bis zur Havaigruppe gegen Nordost und der Osterinsel im äussersten Osten. Dieser Bruchtheil der Malayen kam in viel- fache Berührung mit Papuanen und es entstanden dadurch Misch- linge die wir jetzt als Mikronesier zusammenfassen. Die Zeit, wann sich die polynesischen Malayen von ihren asiatischen Geschwistern trennten, lässt sich bis jetzt auch nicht annähernd begrenzen. Wohl bemerkte schon ein geistvoller, vor- zeitig uns entrissener Botaniker, Berthold Seemann, dass der Palm- wein, der aus den Wunden der Cocosblüthenscheide abgezapft wird, Toddy oder Taddy bei den Malayen der Sundainseln heisse. Dieses Wort stammt aus dem Sanskrit, folglich haben brahma- nische Hindu die wichtige Kunst der Palmweinbereitung erst auf den ostasiatischen Inseln eingebürgert 2). Da nun die Cocospalme wahrscheinlich von Ost nach West sich verbreitet hat, keiner tropischen Insel der Südsee fehlt, ihre Nuss den Bewohnern der Atolle oder Korallengruppen als tägliche Nahrung, ja oft als das einzige Mittel zur Stillung des Durstes dient, so ist es kaum glaublich dass die Polynesier, wenn sie vor ihrer Auswanderung das Geheimniss der Palmweinbereitung gekannt hätten, letztere jemals wieder aufgegeben haben sollten. Da ihnen aber zur Zeit der ersten europäischen Besucher jenes Genussmittel völlig fremd war, so muss ihre Auswanderung vor der Ankunft sanskritredender Indier auf Java erfolgt sein, also jedenfalls vor dem Beginn der Zeitrechnung des Saka oder Salivana, die etwa um das Jahr 78 v. Chr. eingeführt wurde 3). Wir gelangen mit dieser Schluss- folgerung aber nur zu einer allzukurzen Vergangenheit. Weit 1) Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Abth. S. 20. S. 45. 2) Berthold Seemann, Dottings on the roadside. p. 153. 3) Crawfurd, Dictionary of the Indian Islands. p. 137.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/388>, abgerufen am 25.04.2024.