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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung.
Ansiedlern 1). Ihre Sprache ist gänzlich verschieden von denen der
uralaltaischen Gruppe 2). Sich selbst nennen sie Andon domni.

Weit schwieriger lässt sich die Stellung des dritten Volks-
stammes bestimmen, der sich den Namen Aino oder Ainu, das
heisst die Menschen, gegeben hat. Sie waren, wie wir bereits
bemerkten, die ältesten Bewohner der japanischen Inseln, sind aber
jetzt nur noch auf Jezo anzutreffen. Zu ihnen zählen auch die
Bewohner des südlichen Saghaliens, der Kurilengruppe und die
Giljaken am untern Amur 3), so wie im nördlichen Saghalien 4).
Ihre Sprache hat man mit der japanischen verwandt erklären
wollen, jedoch ohne hinreichende Berechtigung 5).

In der Sitzung der Berliner anthropologischen Gesellschaft
am 16. December 1871 überreichte Hr. v. Brandt, deutscher Con-
sul in Japan, Photographien von Aino, die nach dem Gesichts
ausdruck viel Aehnlichkeit mit Japanern verriethen. Die Bewohner
der Insel Paramuschir, nahe an der Südspitze Kamtschatka's, die
eine kurilische Mundart reden, haben "schiefgeschnittene Augen",
besitzen also eines der Merkmale, an welchen die Mongolenrace
leicht erkannt wird 6). Die Schädel dieses Volksstammes zeigen
fast den nämlichen Breitenindex, 76,7--78,8, wie die japanischen,
sind aber bei einem Höhenindex von 69--76 merklich niederer,
doch würde dieser Unterschied nicht allzuschwer ins Gewicht
fallen 7). Weit mehr setzt uns in Verlegenhelt ihr üppiger Bart-
wuchs, das buschige, lockige Haupthaar und das reichliche Haar-
kleid am Leibe 8), welches letztere, wenn auch nicht stärker als bei

1) F. v. Wrangell, Reisen längs der Nordküste von Sibirien. Berlin
1839. Bd. 1. S. 100.
2) Whitney, Study of language. p. 330.
3) Petermann's Mittheilungen. 1857. S. 305. 1860. S. 99.
4) l. c. 1869. S. 432. Wenjukoff versichert dagegen, dass die Sprache
der Giljaken sowohl vom Tungusischen wie vom Kurilischen, welches die
Aino reden, verschieden sei. Journal of the R. Geogr. Society. London
1872. vol. XLII. p. 385.
5) Whitney, Study of language. p. 329.
6) Nach russischen Quellen in der Zeitschrift der Wiener geogr. Gesell-
schaft. 1872. Bd. XV. Heft 12. S. 558.
7) Verhandlungen der Berl. Gesellsch. für Anthropologie. 1872. S. 27
bis 29.
8) S. oben S. 101 und Blakiston, Journey in Yezo, im Journal of the
R. Geographical Society. London 1872. vol. XLII. p. 80.

Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung.
Ansiedlern 1). Ihre Sprache ist gänzlich verschieden von denen der
uralaltaischen Gruppe 2). Sich selbst nennen sie Andon domni.

Weit schwieriger lässt sich die Stellung des dritten Volks-
stammes bestimmen, der sich den Namen Aino oder Ainu, das
heisst die Menschen, gegeben hat. Sie waren, wie wir bereits
bemerkten, die ältesten Bewohner der japanischen Inseln, sind aber
jetzt nur noch auf Jezo anzutreffen. Zu ihnen zählen auch die
Bewohner des südlichen Saghaliens, der Kurilengruppe und die
Giljaken am untern Amur 3), so wie im nördlichen Saghalien 4).
Ihre Sprache hat man mit der japanischen verwandt erklären
wollen, jedoch ohne hinreichende Berechtigung 5).

In der Sitzung der Berliner anthropologischen Gesellschaft
am 16. December 1871 überreichte Hr. v. Brandt, deutscher Con-
sul in Japan, Photographien von Aino, die nach dem Gesichts
ausdruck viel Aehnlichkeit mit Japanern verriethen. Die Bewohner
der Insel Paramuschir, nahe an der Südspitze Kamtschatka’s, die
eine kurilische Mundart reden, haben „schiefgeschnittene Augen“,
besitzen also eines der Merkmale, an welchen die Mongolenrace
leicht erkannt wird 6). Die Schädel dieses Volksstammes zeigen
fast den nämlichen Breitenindex, 76,7—78,8, wie die japanischen,
sind aber bei einem Höhenindex von 69—76 merklich niederer,
doch würde dieser Unterschied nicht allzuschwer ins Gewicht
fallen 7). Weit mehr setzt uns in Verlegenhelt ihr üppiger Bart-
wuchs, das buschige, lockige Haupthaar und das reichliche Haar-
kleid am Leibe 8), welches letztere, wenn auch nicht stärker als bei

1) F. v. Wrangell, Reisen längs der Nordküste von Sibirien. Berlin
1839. Bd. 1. S. 100.
2) Whitney, Study of language. p. 330.
3) Petermann’s Mittheilungen. 1857. S. 305. 1860. S. 99.
4) l. c. 1869. S. 432. Wenjukoff versichert dagegen, dass die Sprache
der Giljaken sowohl vom Tungusischen wie vom Kurilischen, welches die
Aino reden, verschieden sei. Journal of the R. Geogr. Society. London
1872. vol. XLII. p. 385.
5) Whitney, Study of language. p. 329.
6) Nach russischen Quellen in der Zeitschrift der Wiener geogr. Gesell-
schaft. 1872. Bd. XV. Heft 12. S. 558.
7) Verhandlungen der Berl. Gesellsch. für Anthropologie. 1872. S. 27
bis 29.
8) S. oben S. 101 und Blakiston, Journey in Yezo, im Journal of the
R. Geographical Society. London 1872. vol. XLII. p. 80.
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[414/0432] Nordasiaten von unbestimmter systematischer Stellung. Ansiedlern 1). Ihre Sprache ist gänzlich verschieden von denen der uralaltaischen Gruppe 2). Sich selbst nennen sie Andon domni. Weit schwieriger lässt sich die Stellung des dritten Volks- stammes bestimmen, der sich den Namen Aino oder Ainu, das heisst die Menschen, gegeben hat. Sie waren, wie wir bereits bemerkten, die ältesten Bewohner der japanischen Inseln, sind aber jetzt nur noch auf Jezo anzutreffen. Zu ihnen zählen auch die Bewohner des südlichen Saghaliens, der Kurilengruppe und die Giljaken am untern Amur 3), so wie im nördlichen Saghalien 4). Ihre Sprache hat man mit der japanischen verwandt erklären wollen, jedoch ohne hinreichende Berechtigung 5). In der Sitzung der Berliner anthropologischen Gesellschaft am 16. December 1871 überreichte Hr. v. Brandt, deutscher Con- sul in Japan, Photographien von Aino, die nach dem Gesichts ausdruck viel Aehnlichkeit mit Japanern verriethen. Die Bewohner der Insel Paramuschir, nahe an der Südspitze Kamtschatka’s, die eine kurilische Mundart reden, haben „schiefgeschnittene Augen“, besitzen also eines der Merkmale, an welchen die Mongolenrace leicht erkannt wird 6). Die Schädel dieses Volksstammes zeigen fast den nämlichen Breitenindex, 76,7—78,8, wie die japanischen, sind aber bei einem Höhenindex von 69—76 merklich niederer, doch würde dieser Unterschied nicht allzuschwer ins Gewicht fallen 7). Weit mehr setzt uns in Verlegenhelt ihr üppiger Bart- wuchs, das buschige, lockige Haupthaar und das reichliche Haar- kleid am Leibe 8), welches letztere, wenn auch nicht stärker als bei 1) F. v. Wrangell, Reisen längs der Nordküste von Sibirien. Berlin 1839. Bd. 1. S. 100. 2) Whitney, Study of language. p. 330. 3) Petermann’s Mittheilungen. 1857. S. 305. 1860. S. 99. 4) l. c. 1869. S. 432. Wenjukoff versichert dagegen, dass die Sprache der Giljaken sowohl vom Tungusischen wie vom Kurilischen, welches die Aino reden, verschieden sei. Journal of the R. Geogr. Society. London 1872. vol. XLII. p. 385. 5) Whitney, Study of language. p. 329. 6) Nach russischen Quellen in der Zeitschrift der Wiener geogr. Gesell- schaft. 1872. Bd. XV. Heft 12. S. 558. 7) Verhandlungen der Berl. Gesellsch. für Anthropologie. 1872. S. 27 bis 29. 8) S. oben S. 101 und Blakiston, Journey in Yezo, im Journal of the R. Geographical Society. London 1872. vol. XLII. p. 80.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/432>, abgerufen am 28.03.2024.