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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.
heit von den übrigen Hinduschädeln. Zu dem nämlichen Ergeb-
nisse gelangte Welcker 1), der für hohe wie niedere Kasten einen
Breitenindex von 73 ermittelte, während Davis 75 fand, eine seltene
Uebereinstimmung, da der Unterschied um 2 Procent nur eine
Folge des verschiedenen Messungsverfahrens ist. Die Höhe der
Schädel übertrifft die Breite nicht immer, oder höchstens nur um
wenige Procente. Die Indier gehören also noch unter die Schmal-
schädel von mittlerer Höhe. Neuerdings hat auch Isidor Kopernicki 2)
die Maasse von 83 Hindu- mit 15 Zigeunerköpfen verglichen und
uns Ziffern vorgelegt, die mit den obigen übereinstimmen. Die
Bewohner Indiens gehören also jetzt einer einzigen Race an und
die Abtrennung der Bevölkerungen zwischen dem Himalaya und
Vindhiagebirgen von den Dravida des Dekan gründet sich nur darauf,
dass erstere Töchter- oder Enkelsprachen des Sanskrit reden.

Die nicht arischen Bewohner der Halbinsel und Belutschistans
zerfallen sprachlich in die Dravida im engern Sinne und in die
Bevölkerungen des inneren Kerns der Halbinsel vom Ganga süd-
wärts bis etwa zum 18. Breitegrade, welche letztere wir, um nicht
abermals einen neuen Namen zu ersinnen, mit Friedrich Müller
den Munda-Stamm nennen und unter diesem Namen die Horden
der Kolh, der Santal, Bhilla sowie kleinere Stämme zusammenfassen
wollen. Ihre Abtrennung rechtfertigt sich dadurch, dass ihre
Sprachen, unter sich verwandt 3), einer ganz anderen Gruppe wie
der dravidischen angehören 4). Diese sogenannten Dschengelstämme
nähren sich vom Ertrage der Jagd und des Ackerbaues und
bedienen sich noch vielfach der Steingeräthe. In Sinbonga ver-
ehren sie einen gütigen Schöpfer, opfern aber auch bösen Mächten.
Ausserdem glauben sie an Zauberei, daher auch Hexenprocesse
und gottesgerichtliches Verfahren bei ihnen im Brauch sind.
Obendrein hat sich auch noch der Civadienst eingeschlichen 5).

Zu den Dravida im engeren Sinne gehören die Brahui in

1) Kraniologische Mittheilungen S. 157. Vgl. Appendix A.
2) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1872. Bd. 5. S. 285.
3) Jellinghaus (Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 3. Berlin 1871. S. 328)
bemerkt, dass die Sprache der Santal und die der Munda Khol sich noch
näher stehen, wie das Hoch- und das Plattdeutsch.
4) W. D. Whitney, Language and the study of language. p. 327.
5) Jellinghaus a. a. O. S. 329. S. 335. S. 337.

Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.
heit von den übrigen Hinduschädeln. Zu dem nämlichen Ergeb-
nisse gelangte Welcker 1), der für hohe wie niedere Kasten einen
Breitenindex von 73 ermittelte, während Davis 75 fand, eine seltene
Uebereinstimmung, da der Unterschied um 2 Procent nur eine
Folge des verschiedenen Messungsverfahrens ist. Die Höhe der
Schädel übertrifft die Breite nicht immer, oder höchstens nur um
wenige Procente. Die Indier gehören also noch unter die Schmal-
schädel von mittlerer Höhe. Neuerdings hat auch Isidor Kopernicki 2)
die Maasse von 83 Hindu- mit 15 Zigeunerköpfen verglichen und
uns Ziffern vorgelegt, die mit den obigen übereinstimmen. Die
Bewohner Indiens gehören also jetzt einer einzigen Race an und
die Abtrennung der Bevölkerungen zwischen dem Himalaya und
Vindhiagebirgen von den Dravida des Dekan gründet sich nur darauf,
dass erstere Töchter- oder Enkelsprachen des Sanskrit reden.

Die nicht arischen Bewohner der Halbinsel und Belutschistans
zerfallen sprachlich in die Dravida im engern Sinne und in die
Bevölkerungen des inneren Kerns der Halbinsel vom Ganga süd-
wärts bis etwa zum 18. Breitegrade, welche letztere wir, um nicht
abermals einen neuen Namen zu ersinnen, mit Friedrich Müller
den Munda-Stamm nennen und unter diesem Namen die Horden
der Kolh, der Santal, Bhilla sowie kleinere Stämme zusammenfassen
wollen. Ihre Abtrennung rechtfertigt sich dadurch, dass ihre
Sprachen, unter sich verwandt 3), einer ganz anderen Gruppe wie
der dravidischen angehören 4). Diese sogenannten Dschengelstämme
nähren sich vom Ertrage der Jagd und des Ackerbaues und
bedienen sich noch vielfach der Steingeräthe. In Sinbonga ver-
ehren sie einen gütigen Schöpfer, opfern aber auch bösen Mächten.
Ausserdem glauben sie an Zauberei, daher auch Hexenprocesse
und gottesgerichtliches Verfahren bei ihnen im Brauch sind.
Obendrein hat sich auch noch der Çivadienst eingeschlichen 5).

Zu den Dravida im engeren Sinne gehören die Brahui in

1) Kraniologische Mittheilungen S. 157. Vgl. Appendix A.
2) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1872. Bd. 5. S. 285.
3) Jellinghaus (Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 3. Berlin 1871. S. 328)
bemerkt, dass die Sprache der Santal und die der Munda Khol sich noch
näher stehen, wie das Hoch- und das Plattdeutsch.
4) W. D. Whitney, Language and the study of language. p. 327.
5) Jellinghaus a. a. O. S. 329. S. 335. S. 337.
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[484/0502] Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens. heit von den übrigen Hinduschädeln. Zu dem nämlichen Ergeb- nisse gelangte Welcker 1), der für hohe wie niedere Kasten einen Breitenindex von 73 ermittelte, während Davis 75 fand, eine seltene Uebereinstimmung, da der Unterschied um 2 Procent nur eine Folge des verschiedenen Messungsverfahrens ist. Die Höhe der Schädel übertrifft die Breite nicht immer, oder höchstens nur um wenige Procente. Die Indier gehören also noch unter die Schmal- schädel von mittlerer Höhe. Neuerdings hat auch Isidor Kopernicki 2) die Maasse von 83 Hindu- mit 15 Zigeunerköpfen verglichen und uns Ziffern vorgelegt, die mit den obigen übereinstimmen. Die Bewohner Indiens gehören also jetzt einer einzigen Race an und die Abtrennung der Bevölkerungen zwischen dem Himalaya und Vindhiagebirgen von den Dravida des Dekan gründet sich nur darauf, dass erstere Töchter- oder Enkelsprachen des Sanskrit reden. Die nicht arischen Bewohner der Halbinsel und Belutschistans zerfallen sprachlich in die Dravida im engern Sinne und in die Bevölkerungen des inneren Kerns der Halbinsel vom Ganga süd- wärts bis etwa zum 18. Breitegrade, welche letztere wir, um nicht abermals einen neuen Namen zu ersinnen, mit Friedrich Müller den Munda-Stamm nennen und unter diesem Namen die Horden der Kolh, der Santal, Bhilla sowie kleinere Stämme zusammenfassen wollen. Ihre Abtrennung rechtfertigt sich dadurch, dass ihre Sprachen, unter sich verwandt 3), einer ganz anderen Gruppe wie der dravidischen angehören 4). Diese sogenannten Dschengelstämme nähren sich vom Ertrage der Jagd und des Ackerbaues und bedienen sich noch vielfach der Steingeräthe. In Sinbonga ver- ehren sie einen gütigen Schöpfer, opfern aber auch bösen Mächten. Ausserdem glauben sie an Zauberei, daher auch Hexenprocesse und gottesgerichtliches Verfahren bei ihnen im Brauch sind. Obendrein hat sich auch noch der Çivadienst eingeschlichen 5). Zu den Dravida im engeren Sinne gehören die Brahui in 1) Kraniologische Mittheilungen S. 157. Vgl. Appendix A. 2) Archiv für Anthropologie. Braunschweig 1872. Bd. 5. S. 285. 3) Jellinghaus (Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 3. Berlin 1871. S. 328) bemerkt, dass die Sprache der Santal und die der Munda Khol sich noch näher stehen, wie das Hoch- und das Plattdeutsch. 4) W. D. Whitney, Language and the study of language. p. 327. 5) Jellinghaus a. a. O. S. 329. S. 335. S. 337.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/502>, abgerufen am 28.03.2024.