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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Hottentotten und Buschmänner.
Merkmal ist die Verlängerung der labia minora und des praeputium
clitoridis
(Hottentottenschürze) bei Frauen, da ähnliche Abweichungen
nicht blos in Afrika, sondern auch in Amerika vorkommen 1). Der
Bart keimt nur spärlich und die andere Haarbekleidung des Körpers
grenzt an Kahlheit. Nach den Welcker'schen Messungen beträgt
das Breitenverhältniss der Köpfe nur 69, da sich aber der Schädel
nach rückwärts sehr stark verbreitert, so würde der Index, wenn
man an der breitesten Stelle den Tasterzirkel einsetzen wollte,
noch um ein paar Procente höher steigen. Noch schärfer aber
unterscheiden sich die Schädel bei der Betrachtung des Hinter-
hauptes, weil die Höhe selbst noch hinter der so geringen Breite
zurückbleibt, so dass also diese Völker zu den niederen
Schmalschädeln gehören. Die Kiefern drängen in der Regel nach
vorwärts, doch hält sich der Prognathismus innerhalb mässiger
Grenzen. Auch die Jochbogen treten seitlich hervor. Die Lippen
sind zwar sehr voll, aber nie so wulstig wie bei südafrikanischen
Negern. In der Gegend der Nasenwurzel heben sich öfters die
Nasenknochen fast gar nicht über ihre Umgebung hervor, so dass
die aufgestülpte Nase erst kurz über dem Munde hervortritt. Die
Augen sind schmal geschlitzt, aber nicht schief gestellt, wie
Barrow 2) behauptet hat, der sich wahrscheinlich dadurch täuschen
liess, dass die Koi-koin zum Schutze gegen das blendende Sonnen-
licht 3) ihre Brauen zusammengezogen halten. Die Buschmänner,
die alle diese Merkmale mit den Koi-koin gemein haben, unter-
scheiden sich von diesen wieder durch Besonderheiten zweiter
Ordnung. Ihre Grösse ist beträchtlich geringer als die der Koi-
koin 4), doch werden die Horden westlich vom Ngami See als
stattlicher beschrieben. Künftigen Reisenden bleibt es überlassen,
zu untersuchen, ob nicht die Obongo -- schmutzig gelbe, kleine,
4' 4" bis 5' hohe Menschen mit büschelförmig wachsenden Haaren,
aber nicht kahler, sondern mit Flaum stark bedeckter Haut, die

1) Dr. Ploss in der Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Bd. 3. S. 381.
2) Travels into the interior of Southern Africa. London 1801. tom 1. p. 157.
3) Fritsch, Eingeborene Südafrika's. S. 289.
4) Barrow gibt als Maxima der Leibeshöhe unter einer Horde Busch-
männer nahe am Orange River 4' 9" engl. für die Männer und 4' 4" für die
Frauen an. Travels into the interior of South Africa. tom. I. p. 277.

Hottentotten und Buschmänner.
Merkmal ist die Verlängerung der labia minora und des praeputium
clitoridis
(Hottentottenschürze) bei Frauen, da ähnliche Abweichungen
nicht blos in Afrika, sondern auch in Amerika vorkommen 1). Der
Bart keimt nur spärlich und die andere Haarbekleidung des Körpers
grenzt an Kahlheit. Nach den Welcker’schen Messungen beträgt
das Breitenverhältniss der Köpfe nur 69, da sich aber der Schädel
nach rückwärts sehr stark verbreitert, so würde der Index, wenn
man an der breitesten Stelle den Tasterzirkel einsetzen wollte,
noch um ein paar Procente höher steigen. Noch schärfer aber
unterscheiden sich die Schädel bei der Betrachtung des Hinter-
hauptes, weil die Höhe selbst noch hinter der so geringen Breite
zurückbleibt, so dass also diese Völker zu den niederen
Schmalschädeln gehören. Die Kiefern drängen in der Regel nach
vorwärts, doch hält sich der Prognathismus innerhalb mässiger
Grenzen. Auch die Jochbogen treten seitlich hervor. Die Lippen
sind zwar sehr voll, aber nie so wulstig wie bei südafrikanischen
Negern. In der Gegend der Nasenwurzel heben sich öfters die
Nasenknochen fast gar nicht über ihre Umgebung hervor, so dass
die aufgestülpte Nase erst kurz über dem Munde hervortritt. Die
Augen sind schmal geschlitzt, aber nicht schief gestellt, wie
Barrow 2) behauptet hat, der sich wahrscheinlich dadurch täuschen
liess, dass die Koi-koin zum Schutze gegen das blendende Sonnen-
licht 3) ihre Brauen zusammengezogen halten. Die Buschmänner,
die alle diese Merkmale mit den Koi-koin gemein haben, unter-
scheiden sich von diesen wieder durch Besonderheiten zweiter
Ordnung. Ihre Grösse ist beträchtlich geringer als die der Koi-
koin 4), doch werden die Horden westlich vom Ngami See als
stattlicher beschrieben. Künftigen Reisenden bleibt es überlassen,
zu untersuchen, ob nicht die Obongo — schmutzig gelbe, kleine,
4′ 4″ bis 5′ hohe Menschen mit büschelförmig wachsenden Haaren,
aber nicht kahler, sondern mit Flaum stark bedeckter Haut, die

1) Dr. Ploss in der Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Bd. 3. S. 381.
2) Travels into the interior of Southern Africa. London 1801. tom 1. p. 157.
3) Fritsch, Eingeborene Südafrika’s. S. 289.
4) Barrow gibt als Maxima der Leibeshöhe unter einer Horde Busch-
männer nahe am Orange River 4′ 9″ engl. für die Männer und 4′ 4″ für die
Frauen an. Travels into the interior of South Africa. tom. I. p. 277.
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[489/0507] Hottentotten und Buschmänner. Merkmal ist die Verlängerung der labia minora und des praeputium clitoridis (Hottentottenschürze) bei Frauen, da ähnliche Abweichungen nicht blos in Afrika, sondern auch in Amerika vorkommen 1). Der Bart keimt nur spärlich und die andere Haarbekleidung des Körpers grenzt an Kahlheit. Nach den Welcker’schen Messungen beträgt das Breitenverhältniss der Köpfe nur 69, da sich aber der Schädel nach rückwärts sehr stark verbreitert, so würde der Index, wenn man an der breitesten Stelle den Tasterzirkel einsetzen wollte, noch um ein paar Procente höher steigen. Noch schärfer aber unterscheiden sich die Schädel bei der Betrachtung des Hinter- hauptes, weil die Höhe selbst noch hinter der so geringen Breite zurückbleibt, so dass also diese Völker zu den niederen Schmalschädeln gehören. Die Kiefern drängen in der Regel nach vorwärts, doch hält sich der Prognathismus innerhalb mässiger Grenzen. Auch die Jochbogen treten seitlich hervor. Die Lippen sind zwar sehr voll, aber nie so wulstig wie bei südafrikanischen Negern. In der Gegend der Nasenwurzel heben sich öfters die Nasenknochen fast gar nicht über ihre Umgebung hervor, so dass die aufgestülpte Nase erst kurz über dem Munde hervortritt. Die Augen sind schmal geschlitzt, aber nicht schief gestellt, wie Barrow 2) behauptet hat, der sich wahrscheinlich dadurch täuschen liess, dass die Koi-koin zum Schutze gegen das blendende Sonnen- licht 3) ihre Brauen zusammengezogen halten. Die Buschmänner, die alle diese Merkmale mit den Koi-koin gemein haben, unter- scheiden sich von diesen wieder durch Besonderheiten zweiter Ordnung. Ihre Grösse ist beträchtlich geringer als die der Koi- koin 4), doch werden die Horden westlich vom Ngami See als stattlicher beschrieben. Künftigen Reisenden bleibt es überlassen, zu untersuchen, ob nicht die Obongo — schmutzig gelbe, kleine, 4′ 4″ bis 5′ hohe Menschen mit büschelförmig wachsenden Haaren, aber nicht kahler, sondern mit Flaum stark bedeckter Haut, die 1) Dr. Ploss in der Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1871. Bd. 3. S. 381. 2) Travels into the interior of Southern Africa. London 1801. tom 1. p. 157. 3) Fritsch, Eingeborene Südafrika’s. S. 289. 4) Barrow gibt als Maxima der Leibeshöhe unter einer Horde Busch- männer nahe am Orange River 4′ 9″ engl. für die Männer und 4′ 4″ für die Frauen an. Travels into the interior of South Africa. tom. I. p. 277.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/507>, abgerufen am 25.04.2024.