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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
Grenze der Schmalschädel, zählen aber noch zu den hohen Meso-
cephalen, die Abessinier endlich mit einem Breitenindex von 69
und einem Höhenindex von 76° besitzen hohe negerartige Schmal-
schädel. Wer aber bürgt uns, dass Schädel aus Habesch Ab-
kömmlingen von echten unvermischten semitischen Einwanderern
angehören?

Kenner des Altägyptischen wie Kenner der semitischen Sprachen1)
haben längst die Vermuthung geäussert, dass in einer der Forschung
vorläufig entzogenen Vorzeit Hamiten und Semiten in gemeinsamen
Ursitzen ihre Sprachen wenigstens bis zu den Stämmen der Für-
wörter entwickelten. Das alte Testament hat uns ausserdem den
Entwurf einer Ethnographie für die mittelländischen Völker in einer
älteren und einer jüngeren Fassung2) erhalten, wobei es in der
naiven Sprache der patriarchalischen Zustände Länder-, Völker-
oder Städtenamen auf künstlich geschaffene Stammväter überträgt.
So leiten ihren Stammvater Eber die Juden als Enkel von Arpha-
kschad ab, Arphakschad aber ist die Landschaft Arrhapachitis bei
Ptolemäus, in der Nähe des Ararat gelegen und jetzt noch Albak
genannt3).

Zur Zeit, als die Völkertafel der Genesis entstand, konnte
man vielleicht viel besser als jetzt noch Aehnlichkeiten zwischen
Volksstämmen erkennen, die sich später mehr verwischten. Wenn
daher die Kuschiten von Ham abgeleitet werden, die Canaaniten
aber als Nachkommen des Kusch galten und die phönicische Stadt
Sidon als der älteste Sohn Canaan's bezeichnet wird, so huldigt
auch das alte Testament der Ansicht, dass semitische und hami-
tische Stämme sich in Vorzeiten sehr nahe gestanden seien. Doch
widerspricht sich der Bibeltext mehr als einmal; unter andern
wird Havila bald zu den Kuschiten, bald wieder zu den joktani-
schen Arabern gezählt4). Hätte nun gar der Ethnograph, oder
hätten die elohistischen und jahveistischen Ethnographen der Genesis
bei ihrem Lehrgebäude sich nur von der Hautfarbe leiten lassen,
wie diess vielfach von den Kennern biblischer Alterthümer be-

1) Ausdrücklich verwahren wir uns, dass die obigen Worte auf ein Buch
bezogen werden, welches in Gotha 1872 unter dem Titel "Die Semiten in
ihrem Verhältniss zu Chamiten und Japhetiten" erschienen ist.
2) Gen. X. 1--32. Paralip. lib. 1, cap. 1.
3) Fr. Spiegel im Ausland. 1872. Nr. 44. S. 1035.
4) Gen. X. v. 7 u. v. 29.
34*

Die mittelländische Race.
Grenze der Schmalschädel, zählen aber noch zu den hohen Meso-
cephalen, die Abessinier endlich mit einem Breitenindex von 69
und einem Höhenindex von 76° besitzen hohe negerartige Schmal-
schädel. Wer aber bürgt uns, dass Schädel aus Habesch Ab-
kömmlingen von echten unvermischten semitischen Einwanderern
angehören?

Kenner des Altägyptischen wie Kenner der semitischen Sprachen1)
haben längst die Vermuthung geäussert, dass in einer der Forschung
vorläufig entzogenen Vorzeit Hamiten und Semiten in gemeinsamen
Ursitzen ihre Sprachen wenigstens bis zu den Stämmen der Für-
wörter entwickelten. Das alte Testament hat uns ausserdem den
Entwurf einer Ethnographie für die mittelländischen Völker in einer
älteren und einer jüngeren Fassung2) erhalten, wobei es in der
naiven Sprache der patriarchalischen Zustände Länder-, Völker-
oder Städtenamen auf künstlich geschaffene Stammväter überträgt.
So leiten ihren Stammvater Eber die Juden als Enkel von Arpha-
kschad ab, Arphakschad aber ist die Landschaft Arrhapachitis bei
Ptolemäus, in der Nähe des Ararat gelegen und jetzt noch Albak
genannt3).

Zur Zeit, als die Völkertafel der Genesis entstand, konnte
man vielleicht viel besser als jetzt noch Aehnlichkeiten zwischen
Volksstämmen erkennen, die sich später mehr verwischten. Wenn
daher die Kuschiten von Ham abgeleitet werden, die Canaaniten
aber als Nachkommen des Kusch galten und die phönicische Stadt
Sidon als der älteste Sohn Canaan’s bezeichnet wird, so huldigt
auch das alte Testament der Ansicht, dass semitische und hami-
tische Stämme sich in Vorzeiten sehr nahe gestanden seien. Doch
widerspricht sich der Bibeltext mehr als einmal; unter andern
wird Havila bald zu den Kuschiten, bald wieder zu den joktani-
schen Arabern gezählt4). Hätte nun gar der Ethnograph, oder
hätten die elohistischen und jahveistischen Ethnographen der Genesis
bei ihrem Lehrgebäude sich nur von der Hautfarbe leiten lassen,
wie diess vielfach von den Kennern biblischer Alterthümer be-

1) Ausdrücklich verwahren wir uns, dass die obigen Worte auf ein Buch
bezogen werden, welches in Gotha 1872 unter dem Titel „Die Semiten in
ihrem Verhältniss zu Chamiten und Japhetiten“ erschienen ist.
2) Gen. X. 1—32. Paralip. lib. 1, cap. 1.
3) Fr. Spiegel im Ausland. 1872. Nr. 44. S. 1035.
4) Gen. X. v. 7 u. v. 29.
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[531/0549] Die mittelländische Race. Grenze der Schmalschädel, zählen aber noch zu den hohen Meso- cephalen, die Abessinier endlich mit einem Breitenindex von 69 und einem Höhenindex von 76° besitzen hohe negerartige Schmal- schädel. Wer aber bürgt uns, dass Schädel aus Habesch Ab- kömmlingen von echten unvermischten semitischen Einwanderern angehören? Kenner des Altägyptischen wie Kenner der semitischen Sprachen 1) haben längst die Vermuthung geäussert, dass in einer der Forschung vorläufig entzogenen Vorzeit Hamiten und Semiten in gemeinsamen Ursitzen ihre Sprachen wenigstens bis zu den Stämmen der Für- wörter entwickelten. Das alte Testament hat uns ausserdem den Entwurf einer Ethnographie für die mittelländischen Völker in einer älteren und einer jüngeren Fassung 2) erhalten, wobei es in der naiven Sprache der patriarchalischen Zustände Länder-, Völker- oder Städtenamen auf künstlich geschaffene Stammväter überträgt. So leiten ihren Stammvater Eber die Juden als Enkel von Arpha- kschad ab, Arphakschad aber ist die Landschaft Arrhapachitis bei Ptolemäus, in der Nähe des Ararat gelegen und jetzt noch Albak genannt 3). Zur Zeit, als die Völkertafel der Genesis entstand, konnte man vielleicht viel besser als jetzt noch Aehnlichkeiten zwischen Volksstämmen erkennen, die sich später mehr verwischten. Wenn daher die Kuschiten von Ham abgeleitet werden, die Canaaniten aber als Nachkommen des Kusch galten und die phönicische Stadt Sidon als der älteste Sohn Canaan’s bezeichnet wird, so huldigt auch das alte Testament der Ansicht, dass semitische und hami- tische Stämme sich in Vorzeiten sehr nahe gestanden seien. Doch widerspricht sich der Bibeltext mehr als einmal; unter andern wird Havila bald zu den Kuschiten, bald wieder zu den joktani- schen Arabern gezählt 4). Hätte nun gar der Ethnograph, oder hätten die elohistischen und jahveistischen Ethnographen der Genesis bei ihrem Lehrgebäude sich nur von der Hautfarbe leiten lassen, wie diess vielfach von den Kennern biblischer Alterthümer be- 1) Ausdrücklich verwahren wir uns, dass die obigen Worte auf ein Buch bezogen werden, welches in Gotha 1872 unter dem Titel „Die Semiten in ihrem Verhältniss zu Chamiten und Japhetiten“ erschienen ist. 2) Gen. X. 1—32. Paralip. lib. 1, cap. 1. 3) Fr. Spiegel im Ausland. 1872. Nr. 44. S. 1035. 4) Gen. X. v. 7 u. v. 29. 34*

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/549>, abgerufen am 25.04.2024.