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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
den Formen des Hauptes suchen, dem Sitze unsrer höchsten Thä-
tigkeiten. Fleiss und Scharfsinn der neueren Anatomen haben
daher einen jungen Wissenszweig gepflegt, der sich mit dem
knöchernen Schädel beschäftigt. Was die Volkssprache einen
Todtenkopf nennt, ist ein kunstvoll geordnetes Gehäuse, enger und
kleiner am Kinderkopfe, geräumiger beim Erwachsenen. Es ist
also bis zu einem gewissen Alter in der Ausdehnung begriffen und
gelangt erst in reifen Jahren zum Stillstand. Meistens bleiben die
einzelnen Knochen der Gehirnschale, wo sie an ihren Grenzen
zusammenstossen durch Nähte mit eingreifenden Zacken nur zu-
sammengefügt, so dass dem fortgesetzten Wachsthum kein unbe-
siegliches Hinderniss entgegentritt. Ein verfrühtes Verschmelzen
der Schädelplatten muss dagegen die völlige Ausbildung des Ge-
hirnes verhindern und wird daher eine Verwischung der Nähte
bei jugendlichen Schädeln bemerkt, so gehören solche Köpfe
gleichsam zu den missrathenen Bildungen. Da nun die Wissen-
schaft nur die gesunden Erscheinungen vergleichen darf, so folgt
daraus, dass von den Messungen alle Schädel auszuschliessen sind,
deren Nähte frühzeitig verschwinden oder was dasselbe bedeutet,
verwachsen (Obliteration, Synostose). Eine der Deckplatten des
Gehirnschädels, nämlich das Stirnbein, besteht anfänglich aus zwei
Hälften, einer rechten und einer linken, die bei dem Affenjungen
nach der Geburt, bei Kindern im 2. Jahre völlig verwachsen. Bei
einer Anzahl von Menschen dagegen schliessen sie sich nie und
da die Stirnnaht dann als eine Verlängerung der Pfeilnaht recht-
winkelig die Kronennaht durchsetzt, so bildet der Verlauf der Nähte
ein Kreuz, weshalb Schädel mit offner Stirnnaht Kreuzköpfe genannt
werden. Auch sie müssen bei den Schädelmessungen völlig aus-
geschieden werden wie die Vertreter einer eignen, nur unter sich
nicht mit andern vergleichbaren Menschenart. Das Offenbleiben
der Stirnnaht hindert nichts an den gesunden Verrichtungen des
Gehirns, ja da es dessen Wachsthum nach vorn noch bis in ein
späteres Alter verstattet, vereinigen die Kreuzköpfe grössere Stirnbreite
mit grösserer Geräumigkeit, so dass sogar vermuthet worden ist, die
mittleren Leistungen des menschlichen Denkvermögens müssten merk-
lich gesteigert werden, wenn das Offenbleiben jener Naht ein statisti-
sches Uebergewicht erreiche oder sogar zum herrschenden Merkmale
des gesunden Schädels werde. Ueber die Häufigkeit der Kreuzköpfe
hat uns Hermann Welcker nachfolgendes Zifferngemälde geliefert:

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
den Formen des Hauptes suchen, dem Sitze unsrer höchsten Thä-
tigkeiten. Fleiss und Scharfsinn der neueren Anatomen haben
daher einen jungen Wissenszweig gepflegt, der sich mit dem
knöchernen Schädel beschäftigt. Was die Volkssprache einen
Todtenkopf nennt, ist ein kunstvoll geordnetes Gehäuse, enger und
kleiner am Kinderkopfe, geräumiger beim Erwachsenen. Es ist
also bis zu einem gewissen Alter in der Ausdehnung begriffen und
gelangt erst in reifen Jahren zum Stillstand. Meistens bleiben die
einzelnen Knochen der Gehirnschale, wo sie an ihren Grenzen
zusammenstossen durch Nähte mit eingreifenden Zacken nur zu-
sammengefügt, so dass dem fortgesetzten Wachsthum kein unbe-
siegliches Hinderniss entgegentritt. Ein verfrühtes Verschmelzen
der Schädelplatten muss dagegen die völlige Ausbildung des Ge-
hirnes verhindern und wird daher eine Verwischung der Nähte
bei jugendlichen Schädeln bemerkt, so gehören solche Köpfe
gleichsam zu den missrathenen Bildungen. Da nun die Wissen-
schaft nur die gesunden Erscheinungen vergleichen darf, so folgt
daraus, dass von den Messungen alle Schädel auszuschliessen sind,
deren Nähte frühzeitig verschwinden oder was dasselbe bedeutet,
verwachsen (Obliteration, Synostose). Eine der Deckplatten des
Gehirnschädels, nämlich das Stirnbein, besteht anfänglich aus zwei
Hälften, einer rechten und einer linken, die bei dem Affenjungen
nach der Geburt, bei Kindern im 2. Jahre völlig verwachsen. Bei
einer Anzahl von Menschen dagegen schliessen sie sich nie und
da die Stirnnaht dann als eine Verlängerung der Pfeilnaht recht-
winkelig die Kronennaht durchsetzt, so bildet der Verlauf der Nähte
ein Kreuz, weshalb Schädel mit offner Stirnnaht Kreuzköpfe genannt
werden. Auch sie müssen bei den Schädelmessungen völlig aus-
geschieden werden wie die Vertreter einer eignen, nur unter sich
nicht mit andern vergleichbaren Menschenart. Das Offenbleiben
der Stirnnaht hindert nichts an den gesunden Verrichtungen des
Gehirns, ja da es dessen Wachsthum nach vorn noch bis in ein
späteres Alter verstattet, vereinigen die Kreuzköpfe grössere Stirnbreite
mit grösserer Geräumigkeit, so dass sogar vermuthet worden ist, die
mittleren Leistungen des menschlichen Denkvermögens müssten merk-
lich gesteigert werden, wenn das Offenbleiben jener Naht ein statisti-
sches Uebergewicht erreiche oder sogar zum herrschenden Merkmale
des gesunden Schädels werde. Ueber die Häufigkeit der Kreuzköpfe
hat uns Hermann Welcker nachfolgendes Zifferngemälde geliefert:

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[50/0068] Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. den Formen des Hauptes suchen, dem Sitze unsrer höchsten Thä- tigkeiten. Fleiss und Scharfsinn der neueren Anatomen haben daher einen jungen Wissenszweig gepflegt, der sich mit dem knöchernen Schädel beschäftigt. Was die Volkssprache einen Todtenkopf nennt, ist ein kunstvoll geordnetes Gehäuse, enger und kleiner am Kinderkopfe, geräumiger beim Erwachsenen. Es ist also bis zu einem gewissen Alter in der Ausdehnung begriffen und gelangt erst in reifen Jahren zum Stillstand. Meistens bleiben die einzelnen Knochen der Gehirnschale, wo sie an ihren Grenzen zusammenstossen durch Nähte mit eingreifenden Zacken nur zu- sammengefügt, so dass dem fortgesetzten Wachsthum kein unbe- siegliches Hinderniss entgegentritt. Ein verfrühtes Verschmelzen der Schädelplatten muss dagegen die völlige Ausbildung des Ge- hirnes verhindern und wird daher eine Verwischung der Nähte bei jugendlichen Schädeln bemerkt, so gehören solche Köpfe gleichsam zu den missrathenen Bildungen. Da nun die Wissen- schaft nur die gesunden Erscheinungen vergleichen darf, so folgt daraus, dass von den Messungen alle Schädel auszuschliessen sind, deren Nähte frühzeitig verschwinden oder was dasselbe bedeutet, verwachsen (Obliteration, Synostose). Eine der Deckplatten des Gehirnschädels, nämlich das Stirnbein, besteht anfänglich aus zwei Hälften, einer rechten und einer linken, die bei dem Affenjungen nach der Geburt, bei Kindern im 2. Jahre völlig verwachsen. Bei einer Anzahl von Menschen dagegen schliessen sie sich nie und da die Stirnnaht dann als eine Verlängerung der Pfeilnaht recht- winkelig die Kronennaht durchsetzt, so bildet der Verlauf der Nähte ein Kreuz, weshalb Schädel mit offner Stirnnaht Kreuzköpfe genannt werden. Auch sie müssen bei den Schädelmessungen völlig aus- geschieden werden wie die Vertreter einer eignen, nur unter sich nicht mit andern vergleichbaren Menschenart. Das Offenbleiben der Stirnnaht hindert nichts an den gesunden Verrichtungen des Gehirns, ja da es dessen Wachsthum nach vorn noch bis in ein späteres Alter verstattet, vereinigen die Kreuzköpfe grössere Stirnbreite mit grösserer Geräumigkeit, so dass sogar vermuthet worden ist, die mittleren Leistungen des menschlichen Denkvermögens müssten merk- lich gesteigert werden, wenn das Offenbleiben jener Naht ein statisti- sches Uebergewicht erreiche oder sogar zum herrschenden Merkmale des gesunden Schädels werde. Ueber die Häufigkeit der Kreuzköpfe hat uns Hermann Welcker nachfolgendes Zifferngemälde geliefert:

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/68>, abgerufen am 28.03.2024.