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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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§. 46.
Selbstgespräch eines Manns, der mit
seinem Nachdenken unglücklich weit
kömmt.

Mehr als Recht hat die Frau; aber was will
ich machen? Ich kann nicht helfen; unmöglich
kann ich mir aus allem, worinn ich stecke, heraus
helfen. So sagt er; flucht dann wieder auf Arner,
als ob dieser ihm alles auf den Hals gezogen; und
dann auf den Pfarrer, daß er ihn auch noch in
der Kirche rasend gemacht hätte; dann kam er wie-
der auf den Markstein, und sprach: Ich versetze ihn
nicht, den verwünschten Stein; aber wenn's jemand
thäte, so würde der Junker um den dritten Theil
seiner Waldung kommen.

Sodann wieder: Das ist ganz richtig, der achte
und neunte obrigkeitliche Markstein würden ihm das
Stück in gerader Linie wegschneiden; aber behüte
mich Gott davor, ich versetze keinen Markstein.

Dann wieder: Wenn's auch kein rechter Mark-
stein wäre? er liegt da, wie seit der Sündfluth; er
hat keine Numer und kein Zeichen.

Dann gieng er in die Stube, nahm sein Haus-
buch -- rechnete -- schrieb -- blätterte -- that Pa-
piere von einander -- legte sie wieder zusammen --

ver-

§. 46.
Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit
ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit
koͤmmt.

Mehr als Recht hat die Frau; aber was will
ich machen? Ich kann nicht helfen; unmoͤglich
kann ich mir aus allem, worinn ich ſtecke, heraus
helfen. So ſagt er; flucht dann wieder auf Arner,
als ob dieſer ihm alles auf den Hals gezogen; und
dann auf den Pfarrer, daß er ihn auch noch in
der Kirche raſend gemacht haͤtte; dann kam er wie-
der auf den Markſtein, und ſprach: Ich verſetze ihn
nicht, den verwuͤnſchten Stein; aber wenn’s jemand
thaͤte, ſo wuͤrde der Junker um den dritten Theil
ſeiner Waldung kommen.

Sodann wieder: Das iſt ganz richtig, der achte
und neunte obrigkeitliche Markſtein wuͤrden ihm das
Stuͤck in gerader Linie wegſchneiden; aber behuͤte
mich Gott davor, ich verſetze keinen Markſtein.

Dann wieder: Wenn’s auch kein rechter Mark-
ſtein waͤre? er liegt da, wie ſeit der Suͤndfluth; er
hat keine Numer und kein Zeichen.

Dann gieng er in die Stube, nahm ſein Haus-
buch — rechnete — ſchrieb — blaͤtterte — that Pa-
piere von einander — legte ſie wieder zuſammen —

ver-
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[228/0253] §. 46. Selbſtgeſpraͤch eines Manns, der mit ſeinem Nachdenken ungluͤcklich weit koͤmmt. Mehr als Recht hat die Frau; aber was will ich machen? Ich kann nicht helfen; unmoͤglich kann ich mir aus allem, worinn ich ſtecke, heraus helfen. So ſagt er; flucht dann wieder auf Arner, als ob dieſer ihm alles auf den Hals gezogen; und dann auf den Pfarrer, daß er ihn auch noch in der Kirche raſend gemacht haͤtte; dann kam er wie- der auf den Markſtein, und ſprach: Ich verſetze ihn nicht, den verwuͤnſchten Stein; aber wenn’s jemand thaͤte, ſo wuͤrde der Junker um den dritten Theil ſeiner Waldung kommen. Sodann wieder: Das iſt ganz richtig, der achte und neunte obrigkeitliche Markſtein wuͤrden ihm das Stuͤck in gerader Linie wegſchneiden; aber behuͤte mich Gott davor, ich verſetze keinen Markſtein. Dann wieder: Wenn’s auch kein rechter Mark- ſtein waͤre? er liegt da, wie ſeit der Suͤndfluth; er hat keine Numer und kein Zeichen. Dann gieng er in die Stube, nahm ſein Haus- buch — rechnete — ſchrieb — blaͤtterte — that Pa- piere von einander — legte ſie wieder zuſammen — ver-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/253>, abgerufen am 29.03.2024.