Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Jäger nicht mehr, so pfeift er, nicht das Gekreisch
des erschreckten Vogels. Er pfeift dann den mun-
tern Laut der Freßlust bey der nahen Speise.
Auf den Ruf des kühnern Fressers rücken dann
die forchtsamern auch wieder an; und alle fressen
Kirschen, als ob der Jäger keinen erschossen hätte.

So war es und kam es, daß die Stube jezt
wieder voll war von Nachbaren, die gestern und
heute Vormittags sich noch nicht getrauten zu kom-
men.

Bey allem Bösen, und selbst bey Schelmentha-
ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks
bey einander ist, und wenn die, so den Ton geben,
herzhaft und frech sind; und da das in den Wirths-
häusern nie fehlt, so ist unstreitig, daß sie das ge-
meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen schlim-
men Streichen frech und leichtsinnig genug zu bil-
den und zu stimmen weit besser eingerichtet sind,
als es die armen einfältigen Schulen sind, die Men-
schen zu einem braven, stillen, wirthschaftlichen Leben
zu bilden. Aber zur Historie.

Die Nachbaren im Wirthshause waren jezt alle
wieder des Vogts Freunde, denn sie sassen bey sei-
nem Wein. Da sprach der eine, wie der Vogt
ein Mann sey, und wie ihn bey Gott! noch keiner
gemeistert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind
sey, und wie der Vogt seinen Großvater in Ord-
nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott

im
K

Jaͤger nicht mehr, ſo pfeift er, nicht das Gekreiſch
des erſchreckten Vogels. Er pfeift dann den mun-
tern Laut der Freßluſt bey der nahen Speiſe.
Auf den Ruf des kuͤhnern Freſſers ruͤcken dann
die forchtſamern auch wieder an; und alle freſſen
Kirſchen, als ob der Jaͤger keinen erſchoſſen haͤtte.

So war es und kam es, daß die Stube jezt
wieder voll war von Nachbaren, die geſtern und
heute Vormittags ſich noch nicht getrauten zu kom-
men.

Bey allem Boͤſen, und ſelbſt bey Schelmentha-
ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks
bey einander iſt, und wenn die, ſo den Ton geben,
herzhaft und frech ſind; und da das in den Wirths-
haͤuſern nie fehlt, ſo iſt unſtreitig, daß ſie das ge-
meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen ſchlim-
men Streichen frech und leichtſinnig genug zu bil-
den und zu ſtimmen weit beſſer eingerichtet ſind,
als es die armen einfaͤltigen Schulen ſind, die Men-
ſchen zu einem braven, ſtillen, wirthſchaftlichen Leben
zu bilden. Aber zur Hiſtorie.

Die Nachbaren im Wirthshauſe waren jezt alle
wieder des Vogts Freunde, denn ſie ſaſſen bey ſei-
nem Wein. Da ſprach der eine, wie der Vogt
ein Mann ſey, und wie ihn bey Gott! noch keiner
gemeiſtert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind
ſey, und wie der Vogt ſeinen Großvater in Ord-
nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott

im
K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="145"/>
Ja&#x0364;ger nicht mehr, &#x017F;o pfeift er, nicht das Gekrei&#x017F;ch<lb/>
des er&#x017F;chreckten Vogels. Er pfeift dann den mun-<lb/>
tern Laut der Freßlu&#x017F;t bey der nahen Spei&#x017F;e.<lb/>
Auf den Ruf des ku&#x0364;hnern Fre&#x017F;&#x017F;ers ru&#x0364;cken dann<lb/>
die forcht&#x017F;amern auch wieder an; und alle fre&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Kir&#x017F;chen, als ob der Ja&#x0364;ger keinen er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>So war es und kam es, daß die Stube jezt<lb/>
wieder voll war von Nachbaren, die ge&#x017F;tern und<lb/>
heute Vormittags &#x017F;ich noch nicht getrauten zu kom-<lb/>
men.</p><lb/>
          <p>Bey allem Bo&#x0364;&#x017F;en, und &#x017F;elb&#x017F;t bey Schelmentha-<lb/>
ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks<lb/>
bey einander i&#x017F;t, und wenn die, &#x017F;o den Ton geben,<lb/>
herzhaft und frech &#x017F;ind; und da das in den Wirths-<lb/>
ha&#x0364;u&#x017F;ern nie fehlt, &#x017F;o i&#x017F;t un&#x017F;treitig, daß &#x017F;ie das ge-<lb/>
meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen &#x017F;chlim-<lb/>
men Streichen frech und leicht&#x017F;innig genug zu bil-<lb/>
den und zu &#x017F;timmen weit be&#x017F;&#x017F;er eingerichtet &#x017F;ind,<lb/>
als es die armen einfa&#x0364;ltigen Schulen &#x017F;ind, die Men-<lb/>
&#x017F;chen zu einem braven, &#x017F;tillen, wirth&#x017F;chaftlichen Leben<lb/>
zu bilden. Aber zur Hi&#x017F;torie.</p><lb/>
          <p>Die Nachbaren im Wirthshau&#x017F;e waren jezt alle<lb/>
wieder des Vogts Freunde, denn &#x017F;ie &#x017F;a&#x017F;&#x017F;en bey &#x017F;ei-<lb/>
nem Wein. Da &#x017F;prach der eine, wie der Vogt<lb/>
ein Mann &#x017F;ey, und wie ihn bey Gott! noch keiner<lb/>
gemei&#x017F;tert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind<lb/>
&#x017F;ey, und wie der Vogt &#x017F;einen Großvater in Ord-<lb/>
nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K</fw><fw place="bottom" type="catch">im</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0170] Jaͤger nicht mehr, ſo pfeift er, nicht das Gekreiſch des erſchreckten Vogels. Er pfeift dann den mun- tern Laut der Freßluſt bey der nahen Speiſe. Auf den Ruf des kuͤhnern Freſſers ruͤcken dann die forchtſamern auch wieder an; und alle freſſen Kirſchen, als ob der Jaͤger keinen erſchoſſen haͤtte. So war es und kam es, daß die Stube jezt wieder voll war von Nachbaren, die geſtern und heute Vormittags ſich noch nicht getrauten zu kom- men. Bey allem Boͤſen, und ſelbſt bey Schelmentha- ten wird alles munter und muthig, wenn viel Volks bey einander iſt, und wenn die, ſo den Ton geben, herzhaft und frech ſind; und da das in den Wirths- haͤuſern nie fehlt, ſo iſt unſtreitig, daß ſie das ge- meine Volk zu allen Bosheiten und zu allen ſchlim- men Streichen frech und leichtſinnig genug zu bil- den und zu ſtimmen weit beſſer eingerichtet ſind, als es die armen einfaͤltigen Schulen ſind, die Men- ſchen zu einem braven, ſtillen, wirthſchaftlichen Leben zu bilden. Aber zur Hiſtorie. Die Nachbaren im Wirthshauſe waren jezt alle wieder des Vogts Freunde, denn ſie ſaſſen bey ſei- nem Wein. Da ſprach der eine, wie der Vogt ein Mann ſey, und wie ihn bey Gott! noch keiner gemeiſtert habe. Ein andrer, wie Arner ein Kind ſey, und wie der Vogt ſeinen Großvater in Ord- nung gehalten habe. Ein andrer, wie es vor Gott im K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/170
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/170>, abgerufen am 25.04.2024.