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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Lise. Wohl freylich, Mutter!

Mutter. Warum weißst du denn nicht, wem
du's geben willst? Du hast immer so kluges Be-
denken, Lise!

Lise. Ich weiß es jezt auch, Mutter!

Mutter. Wem denn?

Lise. Des Reütimarxen Beteli -- Ich sah es
heute auf des Vogts Mist verdorbene Erdäpfel her-
aussuchen.

Niclas. Ja, Mutter! ich sah es auch, und
suchte in allen meinen Säcken, aber ich fand keinen
Mundvoll Brod mehr -- hätte ich's nur auch ei-
ne Viertelstunde länger gespart.

Die Mutter fragte jezt eben das auch die andern
Kinder -- und sie hatten alle eine herzinnige Freude
darüber, daß sie morgen ihr Abendbrod armen Kin-
dern geben sollten.

Die Mutter ließ sie eine Weile diese Freude
geniessen -- dann sagte sie zu ihnen: Kinder! es ist
jezt genug hievon -- Denket jezt auch daran, wie
unser Gnädige Herr euch so schöne Geschenke ge-
macht hat.

Ja unsere schönen Batzen -- willst du sie uns
doch zeigen, Mutter? sagten die Kinder.

Hernach, nach dem Beten, sagte die Mutter.

Die Kinder jauchzeten vor Freuden.

§. 33.
L 5

Liſe. Wohl freylich, Mutter!

Mutter. Warum weißſt du denn nicht, wem
du’s geben willſt? Du haſt immer ſo kluges Be-
denken, Liſe!

Liſe. Ich weiß es jezt auch, Mutter!

Mutter. Wem denn?

Liſe. Des Reuͤtimarxen Beteli — Ich ſah es
heute auf des Vogts Miſt verdorbene Erdaͤpfel her-
ausſuchen.

Niclas. Ja, Mutter! ich ſah es auch, und
ſuchte in allen meinen Saͤcken, aber ich fand keinen
Mundvoll Brod mehr — haͤtte ich’s nur auch ei-
ne Viertelſtunde laͤnger geſpart.

Die Mutter fragte jezt eben das auch die andern
Kinder — und ſie hatten alle eine herzinnige Freude
daruͤber, daß ſie morgen ihr Abendbrod armen Kin-
dern geben ſollten.

Die Mutter ließ ſie eine Weile dieſe Freude
genieſſen — dann ſagte ſie zu ihnen: Kinder! es iſt
jezt genug hievon — Denket jezt auch daran, wie
unſer Gnaͤdige Herr euch ſo ſchoͤne Geſchenke ge-
macht hat.

Ja unſere ſchoͤnen Batzen — willſt du ſie uns
doch zeigen, Mutter? ſagten die Kinder.

Hernach, nach dem Beten, ſagte die Mutter.

Die Kinder jauchzeten vor Freuden.

§. 33.
L 5
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[169/0194] Liſe. Wohl freylich, Mutter! Mutter. Warum weißſt du denn nicht, wem du’s geben willſt? Du haſt immer ſo kluges Be- denken, Liſe! Liſe. Ich weiß es jezt auch, Mutter! Mutter. Wem denn? Liſe. Des Reuͤtimarxen Beteli — Ich ſah es heute auf des Vogts Miſt verdorbene Erdaͤpfel her- ausſuchen. Niclas. Ja, Mutter! ich ſah es auch, und ſuchte in allen meinen Saͤcken, aber ich fand keinen Mundvoll Brod mehr — haͤtte ich’s nur auch ei- ne Viertelſtunde laͤnger geſpart. Die Mutter fragte jezt eben das auch die andern Kinder — und ſie hatten alle eine herzinnige Freude daruͤber, daß ſie morgen ihr Abendbrod armen Kin- dern geben ſollten. Die Mutter ließ ſie eine Weile dieſe Freude genieſſen — dann ſagte ſie zu ihnen: Kinder! es iſt jezt genug hievon — Denket jezt auch daran, wie unſer Gnaͤdige Herr euch ſo ſchoͤne Geſchenke ge- macht hat. Ja unſere ſchoͤnen Batzen — willſt du ſie uns doch zeigen, Mutter? ſagten die Kinder. Hernach, nach dem Beten, ſagte die Mutter. Die Kinder jauchzeten vor Freuden. §. 33. L 5

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/194>, abgerufen am 29.03.2024.