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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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endlich es wagte, und mit einer Demuth und Liebe
gegen die Ihrigen that -- und wie sie mitten, indem
sie es that, ausgelöscht ist, das ist nicht auszu-
sprechen und nicht zu erzählen.

Lienhard. Ich will mit dir zu ihnen gehn.

Gertrud. Ja, komme, wir wollen gehn.
Sie nimmt ihre Erbsbrühe und sie gehen.

Da sie kamen, saß der Rudi neben der Todten
auf ihrem Bett, weinte und seufzte, und der Klei-
ne rief dem Vater aus seiner Kammer und bat ihn
um Brod -- Nein, nicht um Brod -- um rohe
Wurzeln nur, oder was es wäre.

Ach! ich habe nichts, gar nichts -- um Got-
tes willen, schweig doch bis morgen; ich habe
nichts, sagt ihm der Vater.

Und der Kleine: O! wie mich hungert, Va-
ter! ich kann nicht schlafen -- O! wie mich hun-
gert, Vater!

O wie mich hungert! hören ihn Lienhard und
Gertrud rufen, öffnen die Thüre, stellen das Essen
den Hungrigen dar, und sagen zu ihnen: Esset
doch geschwind, ehe es kalt ist.

O Gott! sagte der Rudi, was ihr an mir
thut. Rudeli, das sind die Leute, denen du Erdäpfel
gestohlen hast; und auch ich habe davon geessen.

Gertrud. Schweig doch einmal hievon,
Rudi!

Rudi. Ich darf euch nicht ansehn, so geht's

mir

endlich es wagte, und mit einer Demuth und Liebe
gegen die Ihrigen that — und wie ſie mitten, indem
ſie es that, ausgeloͤſcht iſt, das iſt nicht auszu-
ſprechen und nicht zu erzaͤhlen.

Lienhard. Ich will mit dir zu ihnen gehn.

Gertrud. Ja, komme, wir wollen gehn.
Sie nimmt ihre Erbsbruͤhe und ſie gehen.

Da ſie kamen, ſaß der Rudi neben der Todten
auf ihrem Bett, weinte und ſeufzte, und der Klei-
ne rief dem Vater aus ſeiner Kammer und bat ihn
um Brod — Nein, nicht um Brod — um rohe
Wurzeln nur, oder was es waͤre.

Ach! ich habe nichts, gar nichts — um Got-
tes willen, ſchweig doch bis morgen; ich habe
nichts, ſagt ihm der Vater.

Und der Kleine: O! wie mich hungert, Va-
ter! ich kann nicht ſchlafen — O! wie mich hun-
gert, Vater!

O wie mich hungert! hoͤren ihn Lienhard und
Gertrud rufen, oͤffnen die Thuͤre, ſtellen das Eſſen
den Hungrigen dar, und ſagen zu ihnen: Eſſet
doch geſchwind, ehe es kalt iſt.

O Gott! ſagte der Rudi, was ihr an mir
thut. Rudeli, das ſind die Leute, denen du Erdaͤpfel
geſtohlen haſt; und auch ich habe davon geeſſen.

Gertrud. Schweig doch einmal hievon,
Rudi!

Rudi. Ich darf euch nicht anſehn, ſo geht’s

mir
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[188/0213] endlich es wagte, und mit einer Demuth und Liebe gegen die Ihrigen that — und wie ſie mitten, indem ſie es that, ausgeloͤſcht iſt, das iſt nicht auszu- ſprechen und nicht zu erzaͤhlen. Lienhard. Ich will mit dir zu ihnen gehn. Gertrud. Ja, komme, wir wollen gehn. Sie nimmt ihre Erbsbruͤhe und ſie gehen. Da ſie kamen, ſaß der Rudi neben der Todten auf ihrem Bett, weinte und ſeufzte, und der Klei- ne rief dem Vater aus ſeiner Kammer und bat ihn um Brod — Nein, nicht um Brod — um rohe Wurzeln nur, oder was es waͤre. Ach! ich habe nichts, gar nichts — um Got- tes willen, ſchweig doch bis morgen; ich habe nichts, ſagt ihm der Vater. Und der Kleine: O! wie mich hungert, Va- ter! ich kann nicht ſchlafen — O! wie mich hun- gert, Vater! O wie mich hungert! hoͤren ihn Lienhard und Gertrud rufen, oͤffnen die Thuͤre, ſtellen das Eſſen den Hungrigen dar, und ſagen zu ihnen: Eſſet doch geſchwind, ehe es kalt iſt. O Gott! ſagte der Rudi, was ihr an mir thut. Rudeli, das ſind die Leute, denen du Erdaͤpfel geſtohlen haſt; und auch ich habe davon geeſſen. Gertrud. Schweig doch einmal hievon, Rudi! Rudi. Ich darf euch nicht anſehn, ſo geht’s mir

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/213>, abgerufen am 19.04.2024.