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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Es ist auch nicht Recht, es ist Sünde, beson-
ders an einem heiligen Tage ist es Sünde, daß er's
thut, sagte Aebi.

Und der Vogt: Er weiß es, der Bösewicht,
daß ich es nicht leiden kann; aber desto mehr thut
er's. Es muß ihm ein rechtes Wohlleben seyn,
wenn er die Leute mit seinem Predigen, und mit
seinem Verdrehen alles dessen, was er nicht ver-
steht, und was ihn nichts angeht, recht in Zorn
und Wuth bringen kann.

Aebi. Einmal der liebe Heiland und die Evan-
gelisten und die Apostel im neuen Testament haben
Niemand geschimpft.

Christen. Das mußst du nicht sagen, sie ha-
ben auch geschimpft, und noch mehr als der Pfarrer.

Aebi. Das ist nicht wahr, Christen!

Christen. Du bist ein Narr, Aebi! Ihr blin-
den Führer, ihr Schlangen, ihr Ottergezüchte, und
so tausenderley. Du verstehst die Bibel, Aebi!

Bauern. Ja, Aebi! es ist wahr, sie haben
auch geschimpft.

Christen. Ja, aber Rechtshändel! die sie nicht
verstanden, und Rechnungssachen, die vor der Ober-
keit ausgemacht und in der Ordnung sind, ahndeten
sie doch nicht; und zu dem, es waren andre Leute,
die das wohl durften.

Bauern. Es versteht sich, es waren andre
Leute.

Christen.

Es iſt auch nicht Recht, es iſt Suͤnde, beſon-
ders an einem heiligen Tage iſt es Suͤnde, daß er’s
thut, ſagte Aebi.

Und der Vogt: Er weiß es, der Boͤſewicht,
daß ich es nicht leiden kann; aber deſto mehr thut
er’s. Es muß ihm ein rechtes Wohlleben ſeyn,
wenn er die Leute mit ſeinem Predigen, und mit
ſeinem Verdrehen alles deſſen, was er nicht ver-
ſteht, und was ihn nichts angeht, recht in Zorn
und Wuth bringen kann.

Aebi. Einmal der liebe Heiland und die Evan-
geliſten und die Apoſtel im neuen Teſtament haben
Niemand geſchimpft.

Chriſten. Das mußſt du nicht ſagen, ſie ha-
ben auch geſchimpft, und noch mehr als der Pfarrer.

Aebi. Das iſt nicht wahr, Chriſten!

Chriſten. Du biſt ein Narr, Aebi! Ihr blin-
den Fuͤhrer, ihr Schlangen, ihr Ottergezuͤchte, und
ſo tauſenderley. Du verſtehſt die Bibel, Aebi!

Bauern. Ja, Aebi! es iſt wahr, ſie haben
auch geſchimpft.

Chriſten. Ja, aber Rechtshaͤndel! die ſie nicht
verſtanden, und Rechnungsſachen, die vor der Ober-
keit ausgemacht und in der Ordnung ſind, ahndeten
ſie doch nicht; und zu dem, es waren andre Leute,
die das wohl durften.

Bauern. Es verſteht ſich, es waren andre
Leute.

Chriſten.
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[205/0230] Es iſt auch nicht Recht, es iſt Suͤnde, beſon- ders an einem heiligen Tage iſt es Suͤnde, daß er’s thut, ſagte Aebi. Und der Vogt: Er weiß es, der Boͤſewicht, daß ich es nicht leiden kann; aber deſto mehr thut er’s. Es muß ihm ein rechtes Wohlleben ſeyn, wenn er die Leute mit ſeinem Predigen, und mit ſeinem Verdrehen alles deſſen, was er nicht ver- ſteht, und was ihn nichts angeht, recht in Zorn und Wuth bringen kann. Aebi. Einmal der liebe Heiland und die Evan- geliſten und die Apoſtel im neuen Teſtament haben Niemand geſchimpft. Chriſten. Das mußſt du nicht ſagen, ſie ha- ben auch geſchimpft, und noch mehr als der Pfarrer. Aebi. Das iſt nicht wahr, Chriſten! Chriſten. Du biſt ein Narr, Aebi! Ihr blin- den Fuͤhrer, ihr Schlangen, ihr Ottergezuͤchte, und ſo tauſenderley. Du verſtehſt die Bibel, Aebi! Bauern. Ja, Aebi! es iſt wahr, ſie haben auch geſchimpft. Chriſten. Ja, aber Rechtshaͤndel! die ſie nicht verſtanden, und Rechnungsſachen, die vor der Ober- keit ausgemacht und in der Ordnung ſind, ahndeten ſie doch nicht; und zu dem, es waren andre Leute, die das wohl durften. Bauern. Es verſteht ſich, es waren andre Leute. Chriſten.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/230>, abgerufen am 29.03.2024.