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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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und daraus leben, daß sie den Ehrlichern und Ein-
fältigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß
das Geld aus der Tasche locken. Diese kannten den
guten Lienhard, und verführten ihn oft beym Trunk
noch zum Spiel, und raubten ihm so den Lohn
seines Schweisses. Aber allemal, wenn das am
Abend geschehen war, reuete es Lienharden am Mor-
gen -- und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger-
trud und seine Kinder Brod mangeln sah, daß er
zitterte, weinte, seine Augen niederschlug, und seine
Thränen verbarg.

Gertrud ist die beste Frau im Dorf -- aber
sie und ihre blühenden Kinder waren in Gefahr,
ihres Vaters und ihrer Hütte beraubt, getrennt,
verschupft ins äusserste Elend zu sinken, weil
Lienhard den Wein nicht meiden konnte.

Gertrud sah die nahe Gefahr, und war da-
von in ihrem Innersten durchdrungen. Wenn sie
Gras von ihrer Wiese holte, wenn sie Heu von
ihrer Bühne nahm, wenn sie die Milch in ihren
reinlichen Becken besorgte; ach! bey allem, bey
allem ängstigte sie immer der Gedanke -- daß ihre
Wiese, ihr Heustock und ihre halbe Hütte ihnen
bald werden entrissen werden, und wenn ihre
Kinder um sie her stunden, und sich an ihren
Schoos drängten, so war ihre Wehmuth immer
noch größer; Allemal flossen dann Thränen über
ihre Wangen.

Bis

und daraus leben, daß ſie den Ehrlichern und Ein-
faͤltigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß
das Geld aus der Taſche locken. Dieſe kannten den
guten Lienhard, und verfuͤhrten ihn oft beym Trunk
noch zum Spiel, und raubten ihm ſo den Lohn
ſeines Schweiſſes. Aber allemal, wenn das am
Abend geſchehen war, reuete es Lienharden am Mor-
gen — und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger-
trud und ſeine Kinder Brod mangeln ſah, daß er
zitterte, weinte, ſeine Augen niederſchlug, und ſeine
Thraͤnen verbarg.

Gertrud iſt die beſte Frau im Dorf — aber
ſie und ihre bluͤhenden Kinder waren in Gefahr,
ihres Vaters und ihrer Huͤtte beraubt, getrennt,
verſchupft ins aͤuſſerſte Elend zu ſinken, weil
Lienhard den Wein nicht meiden konnte.

Gertrud ſah die nahe Gefahr, und war da-
von in ihrem Innerſten durchdrungen. Wenn ſie
Gras von ihrer Wieſe holte, wenn ſie Heu von
ihrer Buͤhne nahm, wenn ſie die Milch in ihren
reinlichen Becken beſorgte; ach! bey allem, bey
allem aͤngſtigte ſie immer der Gedanke — daß ihre
Wieſe, ihr Heuſtock und ihre halbe Huͤtte ihnen
bald werden entriſſen werden, und wenn ihre
Kinder um ſie her ſtunden, und ſich an ihren
Schoos draͤngten, ſo war ihre Wehmuth immer
noch groͤßer; Allemal floſſen dann Thraͤnen uͤber
ihre Wangen.

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[4/0027] und daraus leben, daß ſie den Ehrlichern und Ein- faͤltigern auflauern, und ihnen bey jedem Anlaß das Geld aus der Taſche locken. Dieſe kannten den guten Lienhard, und verfuͤhrten ihn oft beym Trunk noch zum Spiel, und raubten ihm ſo den Lohn ſeines Schweiſſes. Aber allemal, wenn das am Abend geſchehen war, reuete es Lienharden am Mor- gen — und es gieng ihm ans Herz, wenn er Ger- trud und ſeine Kinder Brod mangeln ſah, daß er zitterte, weinte, ſeine Augen niederſchlug, und ſeine Thraͤnen verbarg. Gertrud iſt die beſte Frau im Dorf — aber ſie und ihre bluͤhenden Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Huͤtte beraubt, getrennt, verſchupft ins aͤuſſerſte Elend zu ſinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte. Gertrud ſah die nahe Gefahr, und war da- von in ihrem Innerſten durchdrungen. Wenn ſie Gras von ihrer Wieſe holte, wenn ſie Heu von ihrer Buͤhne nahm, wenn ſie die Milch in ihren reinlichen Becken beſorgte; ach! bey allem, bey allem aͤngſtigte ſie immer der Gedanke — daß ihre Wieſe, ihr Heuſtock und ihre halbe Huͤtte ihnen bald werden entriſſen werden, und wenn ihre Kinder um ſie her ſtunden, und ſich an ihren Schoos draͤngten, ſo war ihre Wehmuth immer noch groͤßer; Allemal floſſen dann Thraͤnen uͤber ihre Wangen. Bis

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/27>, abgerufen am 28.03.2024.