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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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meine Sorgen verhehlte -- daß ich mich noch einst
von dir und diesen Lieben trennen müßte -- so wär
ich nicht Mutter an meinen Kindern -- und an dir
wär ich nicht treu -- O Theurer! Noch sind un-
sere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns -- aber,
mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben --
so wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf
die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn müs-
sen -- und dann denke, o Lieber! denk auch, wie
dir seyn müßte, wenn dein Niclas einst keine Hütte
mehr hätte! und Knecht seyn müßte -- Er, der
jezo schon so gern von Freyheit und eigenem
Heerde redt -- Lienhard -- wenn er und alle die
Lieben -- durch unsern Fehler arm gemacht,
einst in ihrem Herzen uns nicht mehr dank-
ten -- sondern weinten ob uns, ihren Eltern --
könntest du leben, Lienhard! und sehen, wie dein
Niclas, dein Jonas, wie dein Liseli (Lise) und dein
Annelj, (Enne) *) o Gott! verschupft, an fremden
Tischen Brod suchen müßten -- ich würde sterben,

wenn
*) Diese Geschichte ist schweizerisch. Die Scene davon
ist in der Schweiz, und ihre Helden sind Schwei-
zer. Man hat deshalben die schweizerischen Na-
men beybehalten, und so gar schweizerische Pro-
vincialworte, wie z. E. verschupfen, welches
den Fall bedeutet, da ein Mensch von einem
Orte zum andern mit einer Art von Drucke und
von Verachtung verstossen wird.

meine Sorgen verhehlte — daß ich mich noch einſt
von dir und dieſen Lieben trennen muͤßte — ſo waͤr
ich nicht Mutter an meinen Kindern — und an dir
waͤr ich nicht treu — O Theurer! Noch ſind un-
ſere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns — aber,
mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben —
ſo wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf
die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn muͤſ-
ſen — und dann denke, o Lieber! denk auch, wie
dir ſeyn muͤßte, wenn dein Niclas einſt keine Huͤtte
mehr haͤtte! und Knecht ſeyn muͤßte — Er, der
jezo ſchon ſo gern von Freyheit und eigenem
Heerde redt — Lienhard — wenn er und alle die
Lieben — durch unſern Fehler arm gemacht,
einſt in ihrem Herzen uns nicht mehr dank-
ten — ſondern weinten ob uns, ihren Eltern —
koͤnnteſt du leben, Lienhard! und ſehen, wie dein
Niclas, dein Jonas, wie dein Liſeli (Lise) und dein
Annelj, (Enne) *) o Gott! verſchupft, an fremden
Tiſchen Brod ſuchen muͤßten — ich wuͤrde ſterben,

wenn
*) Dieſe Geſchichte iſt ſchweizeriſch. Die Scene davon
iſt in der Schweiz, und ihre Helden ſind Schwei-
zer. Man hat deshalben die ſchweizeriſchen Na-
men beybehalten, und ſo gar ſchweizeriſche Pro-
vincialworte, wie z. E. verſchupfen, welches
den Fall bedeutet, da ein Menſch von einem
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[8/0031] meine Sorgen verhehlte — daß ich mich noch einſt von dir und dieſen Lieben trennen muͤßte — ſo waͤr ich nicht Mutter an meinen Kindern — und an dir waͤr ich nicht treu — O Theurer! Noch ſind un- ſere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns — aber, mein Lienhard! wenn wir nicht Eltern bleiben — ſo wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf die ich alles baue, nothwendig verlohren gehn muͤſ- ſen — und dann denke, o Lieber! denk auch, wie dir ſeyn muͤßte, wenn dein Niclas einſt keine Huͤtte mehr haͤtte! und Knecht ſeyn muͤßte — Er, der jezo ſchon ſo gern von Freyheit und eigenem Heerde redt — Lienhard — wenn er und alle die Lieben — durch unſern Fehler arm gemacht, einſt in ihrem Herzen uns nicht mehr dank- ten — ſondern weinten ob uns, ihren Eltern — koͤnnteſt du leben, Lienhard! und ſehen, wie dein Niclas, dein Jonas, wie dein Liſeli (Lise) und dein Annelj, (Enne) *) o Gott! verſchupft, an fremden Tiſchen Brod ſuchen muͤßten — ich wuͤrde ſterben, wenn *) Dieſe Geſchichte iſt ſchweizeriſch. Die Scene davon iſt in der Schweiz, und ihre Helden ſind Schwei- zer. Man hat deshalben die ſchweizeriſchen Na- men beybehalten, und ſo gar ſchweizeriſche Pro- vincialworte, wie z. E. verſchupfen, welches den Fall bedeutet, da ein Menſch von einem Orte zum andern mit einer Art von Drucke und von Verachtung verſtoſſen wird.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/31>, abgerufen am 28.03.2024.