Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Mensch gegen die, so ihm schuldig sind -- Ach!
daß ich ihn in meinem Leben nie gesehn hätte --
Wenn ich nicht bey ihm einkehre, so droht er mir
mit den Rechten -- und wenn ich einkehre, so ist
der Lohn meines Schweisses und meiner Arbeit in
seinen Klauen. -- Das, Gertrud, das ist die Quelle
unsers Elends. --

O Lieber! sagte hierauf Gertrud, darfst du nicht
zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißst,
wie alle Wittwen und Waisen sich seiner rühmen --
O Lieber, ich denke, er würde dir Rath und Schutz
gewähren gegen diesem Mann --

O Gertrud! erwiederte Lienhard -- ich kann
nicht -- ich darf nicht -- was wollte ich gegen
dem Vogt sagen? -- der tausenderley anbringt und
kühn ist -- und schlau und hundert Helfers-Helfer
und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig-
keit zu verschreyen, daß man ihn nicht anhört.

Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner
Obrigkeit geredt -- Aber wenn Noth und Elend
mich zu ihr führeten, ich weiß, ich würde die Wahr-
heit gerade gegen jedermann sagen können. -- O
Theurer! fürchte dir nicht -- denke an mich und
deine Kinder, und gehe --

O Gertrud! sagte Lienhard -- ich kann nicht --
ich darf nicht -- ich bin nicht unschuldig -- Der
Vogt wird sich kaltblütig aufs ganze Dorf berufen --
daß ich ein liederlicher Tropf bin -- O Gertrud! ich

bin

Menſch gegen die, ſo ihm ſchuldig ſind — Ach!
daß ich ihn in meinem Leben nie geſehn haͤtte —
Wenn ich nicht bey ihm einkehre, ſo droht er mir
mit den Rechten — und wenn ich einkehre, ſo iſt
der Lohn meines Schweiſſes und meiner Arbeit in
ſeinen Klauen. — Das, Gertrud, das iſt die Quelle
unſers Elends. —

O Lieber! ſagte hierauf Gertrud, darfſt du nicht
zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißſt,
wie alle Wittwen und Waiſen ſich ſeiner ruͤhmen —
O Lieber, ich denke, er wuͤrde dir Rath und Schutz
gewaͤhren gegen dieſem Mann —

O Gertrud! erwiederte Lienhard — ich kann
nicht — ich darf nicht — was wollte ich gegen
dem Vogt ſagen? — der tauſenderley anbringt und
kuͤhn iſt — und ſchlau und hundert Helfers-Helfer
und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig-
keit zu verſchreyen, daß man ihn nicht anhoͤrt.

Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner
Obrigkeit geredt — Aber wenn Noth und Elend
mich zu ihr fuͤhreten, ich weiß, ich wuͤrde die Wahr-
heit gerade gegen jedermann ſagen koͤnnen. — O
Theurer! fuͤrchte dir nicht — denke an mich und
deine Kinder, und gehe —

O Gertrud! ſagte Lienhard — ich kann nicht —
ich darf nicht — ich bin nicht unſchuldig — Der
Vogt wird ſich kaltbluͤtig aufs ganze Dorf berufen —
daß ich ein liederlicher Tropf bin — O Gertrud! ich

bin
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="10"/>
Men&#x017F;ch gegen die, &#x017F;o ihm &#x017F;chuldig &#x017F;ind &#x2014; Ach!<lb/>
daß ich ihn in meinem Leben nie ge&#x017F;ehn ha&#x0364;tte &#x2014;<lb/>
Wenn ich nicht bey ihm einkehre, &#x017F;o droht er mir<lb/>
mit den Rechten &#x2014; und wenn ich einkehre, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
der Lohn meines Schwei&#x017F;&#x017F;es und meiner Arbeit in<lb/>
&#x017F;einen Klauen. &#x2014; Das, Gertrud, das i&#x017F;t die Quelle<lb/>
un&#x017F;ers Elends. &#x2014;</p><lb/>
          <p>O Lieber! &#x017F;agte hierauf Gertrud, darf&#x017F;t du nicht<lb/>
zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weiß&#x017F;t,<lb/>
wie alle Wittwen und Wai&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;einer ru&#x0364;hmen &#x2014;<lb/>
O Lieber, ich denke, er wu&#x0364;rde dir Rath und Schutz<lb/>
gewa&#x0364;hren gegen die&#x017F;em Mann &#x2014;</p><lb/>
          <p>O Gertrud! erwiederte Lienhard &#x2014; ich kann<lb/>
nicht &#x2014; ich darf nicht &#x2014; was wollte ich gegen<lb/>
dem Vogt &#x017F;agen? &#x2014; der tau&#x017F;enderley anbringt und<lb/>
ku&#x0364;hn i&#x017F;t &#x2014; und &#x017F;chlau und hundert Helfers-Helfer<lb/>
und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig-<lb/>
keit zu ver&#x017F;chreyen, daß man ihn nicht anho&#x0364;rt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> O Lieber! ich habe noch mit keiner<lb/>
Obrigkeit geredt &#x2014; Aber wenn Noth und Elend<lb/>
mich zu ihr fu&#x0364;hreten, ich weiß, ich wu&#x0364;rde die Wahr-<lb/>
heit gerade gegen jedermann &#x017F;agen ko&#x0364;nnen. &#x2014; O<lb/>
Theurer! fu&#x0364;rchte dir nicht &#x2014; denke an mich und<lb/>
deine Kinder, und gehe &#x2014;</p><lb/>
          <p>O Gertrud! &#x017F;agte Lienhard &#x2014; ich kann nicht &#x2014;<lb/>
ich darf nicht &#x2014; ich bin nicht un&#x017F;chuldig &#x2014; Der<lb/>
Vogt wird &#x017F;ich kaltblu&#x0364;tig aufs ganze Dorf berufen &#x2014;<lb/>
daß ich ein liederlicher Tropf bin &#x2014; O Gertrud! ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bin</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0033] Menſch gegen die, ſo ihm ſchuldig ſind — Ach! daß ich ihn in meinem Leben nie geſehn haͤtte — Wenn ich nicht bey ihm einkehre, ſo droht er mir mit den Rechten — und wenn ich einkehre, ſo iſt der Lohn meines Schweiſſes und meiner Arbeit in ſeinen Klauen. — Das, Gertrud, das iſt die Quelle unſers Elends. — O Lieber! ſagte hierauf Gertrud, darfſt du nicht zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißſt, wie alle Wittwen und Waiſen ſich ſeiner ruͤhmen — O Lieber, ich denke, er wuͤrde dir Rath und Schutz gewaͤhren gegen dieſem Mann — O Gertrud! erwiederte Lienhard — ich kann nicht — ich darf nicht — was wollte ich gegen dem Vogt ſagen? — der tauſenderley anbringt und kuͤhn iſt — und ſchlau und hundert Helfers-Helfer und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrig- keit zu verſchreyen, daß man ihn nicht anhoͤrt. Gertrud. O Lieber! ich habe noch mit keiner Obrigkeit geredt — Aber wenn Noth und Elend mich zu ihr fuͤhreten, ich weiß, ich wuͤrde die Wahr- heit gerade gegen jedermann ſagen koͤnnen. — O Theurer! fuͤrchte dir nicht — denke an mich und deine Kinder, und gehe — O Gertrud! ſagte Lienhard — ich kann nicht — ich darf nicht — ich bin nicht unſchuldig — Der Vogt wird ſich kaltbluͤtig aufs ganze Dorf berufen — daß ich ein liederlicher Tropf bin — O Gertrud! ich bin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/33
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/33>, abgerufen am 28.03.2024.