Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Junker. Du guter Küher! der Mann be-
kömmt eine schöne Matte und Futter genug für
die Kuh.

Küher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl
geht, wenn sie doch fort muß.

Junker. Sey nur zufrieden, Küher! Es soll
ihr nich[t] fehlen.

Der Küher futterte die Kuh, und seufzete
bey sich selber, daß sein Herr die schönste im Stall
wegschenkte. Er nahm auch sein Morgenbrod und
Salz, gab alles dem Fleck, und sagte dann zum
Jungen:

Nimm deinen Sonntagsrock und ein sauberes
Hemd; strehle dich, und putze dir deine Schuhe,
du mußst den Fleck nach Bonnal führen.

Und der Junge that, was der Küher ihm sagte,
und führte die Kuh ab.

Arner sann jezt eine Weile still und ernsthaft
dem Urtheil nach, welches er über den Vogt fällen
wollte. Wie ein Vater, wenn er seinen wilden,
ausartenden Knaben einsperrt und züchtigt --
nichts sucht, als das Wohl seines Kindes -- wie
es dem Vater an's Herz geht, daß er strafen muß --
wie er lieber verschonen und lieber belohnen
würde; wie er seine Wehmuth in seinen Stra-
fen so väterlich äussert, und durch seine Liebe mit-
ten im Strafen seinen Kindern noch mehr, als durch
die Strafe selber, an's Herz greift.

So,

Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be-
koͤmmt eine ſchoͤne Matte und Futter genug fuͤr
die Kuh.

Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl
geht, wenn ſie doch fort muß.

Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es ſoll
ihr nich[t] fehlen.

Der Kuͤher futterte die Kuh, und ſeufzete
bey ſich ſelber, daß ſein Herr die ſchoͤnſte im Stall
wegſchenkte. Er nahm auch ſein Morgenbrod und
Salz, gab alles dem Fleck, und ſagte dann zum
Jungen:

Nimm deinen Sonntagsrock und ein ſauberes
Hemd; ſtrehle dich, und putze dir deine Schuhe,
du mußſt den Fleck nach Bonnal fuͤhren.

Und der Junge that, was der Kuͤher ihm ſagte,
und fuͤhrte die Kuh ab.

Arner ſann jezt eine Weile ſtill und ernſthaft
dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen
wollte. Wie ein Vater, wenn er ſeinen wilden,
ausartenden Knaben einſperrt und zuͤchtigt —
nichts ſucht, als das Wohl ſeines Kindes — wie
es dem Vater an’s Herz geht, daß er ſtrafen muß —
wie er lieber verſchonen und lieber belohnen
wuͤrde; wie er ſeine Wehmuth in ſeinen Stra-
fen ſo vaͤterlich aͤuſſert, und durch ſeine Liebe mit-
ten im Strafen ſeinen Kindern noch mehr, als durch
die Strafe ſelber, an’s Herz greift.

So,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0351" n="326"/>
        <p><hi rendition="#fr">Junker.</hi> Du guter Ku&#x0364;her! der Mann be-<lb/>
ko&#x0364;mmt eine &#x017F;cho&#x0364;ne Matte und Futter genug fu&#x0364;r<lb/>
die Kuh.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Ku&#x0364;her.</hi> Nun, wenn es ihr nur auch wohl<lb/>
geht, wenn &#x017F;ie doch fort muß.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Junker.</hi> Sey nur zufrieden, Ku&#x0364;her! Es &#x017F;oll<lb/>
ihr nich<supplied>t</supplied> fehlen.</p><lb/>
        <p>Der Ku&#x0364;her futterte die Kuh, und &#x017F;eufzete<lb/>
bey &#x017F;ich &#x017F;elber, daß &#x017F;ein Herr die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te im Stall<lb/>
weg&#x017F;chenkte. Er nahm auch &#x017F;ein Morgenbrod und<lb/>
Salz, gab alles dem Fleck, und &#x017F;agte dann zum<lb/>
Jungen:</p><lb/>
        <p>Nimm deinen Sonntagsrock und ein &#x017F;auberes<lb/>
Hemd; &#x017F;trehle dich, und putze dir deine Schuhe,<lb/>
du muß&#x017F;t den Fleck nach Bonnal fu&#x0364;hren.</p><lb/>
        <p>Und der Junge that, was der Ku&#x0364;her ihm &#x017F;agte,<lb/>
und fu&#x0364;hrte die Kuh ab.</p><lb/>
        <p>Arner &#x017F;ann jezt eine Weile &#x017F;till und ern&#x017F;thaft<lb/>
dem Urtheil nach, welches er u&#x0364;ber den Vogt fa&#x0364;llen<lb/>
wollte. Wie ein Vater, wenn er &#x017F;einen wilden,<lb/>
ausartenden Knaben ein&#x017F;perrt und zu&#x0364;chtigt &#x2014;<lb/>
nichts &#x017F;ucht, als das Wohl &#x017F;eines Kindes &#x2014; wie<lb/>
es dem Vater an&#x2019;s Herz geht, daß er &#x017F;trafen muß &#x2014;<lb/>
wie er lieber ver&#x017F;chonen und lieber belohnen<lb/>
wu&#x0364;rde; wie er &#x017F;eine Wehmuth in &#x017F;einen Stra-<lb/>
fen &#x017F;o va&#x0364;terlich a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert, und durch &#x017F;eine Liebe mit-<lb/>
ten im Strafen &#x017F;einen Kindern noch mehr, als durch<lb/>
die Strafe &#x017F;elber, an&#x2019;s Herz greift.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">So,</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0351] Junker. Du guter Kuͤher! der Mann be- koͤmmt eine ſchoͤne Matte und Futter genug fuͤr die Kuh. Kuͤher. Nun, wenn es ihr nur auch wohl geht, wenn ſie doch fort muß. Junker. Sey nur zufrieden, Kuͤher! Es ſoll ihr nicht fehlen. Der Kuͤher futterte die Kuh, und ſeufzete bey ſich ſelber, daß ſein Herr die ſchoͤnſte im Stall wegſchenkte. Er nahm auch ſein Morgenbrod und Salz, gab alles dem Fleck, und ſagte dann zum Jungen: Nimm deinen Sonntagsrock und ein ſauberes Hemd; ſtrehle dich, und putze dir deine Schuhe, du mußſt den Fleck nach Bonnal fuͤhren. Und der Junge that, was der Kuͤher ihm ſagte, und fuͤhrte die Kuh ab. Arner ſann jezt eine Weile ſtill und ernſthaft dem Urtheil nach, welches er uͤber den Vogt faͤllen wollte. Wie ein Vater, wenn er ſeinen wilden, ausartenden Knaben einſperrt und zuͤchtigt — nichts ſucht, als das Wohl ſeines Kindes — wie es dem Vater an’s Herz geht, daß er ſtrafen muß — wie er lieber verſchonen und lieber belohnen wuͤrde; wie er ſeine Wehmuth in ſeinen Stra- fen ſo vaͤterlich aͤuſſert, und durch ſeine Liebe mit- ten im Strafen ſeinen Kindern noch mehr, als durch die Strafe ſelber, an’s Herz greift. So,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/351
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/351>, abgerufen am 19.04.2024.