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Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.

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Die Vicekönigin ist bereits Mutter, aber leider nur eines Mädchens. Für jetzt ist sie noch die erste Gemahlin des Prinzen, weil ihm von keiner andern ein Knabe geboren wurde; diejenige aber, die den ersten Knaben zur Welt bringt, nimmt dann ihre Stelle ein. Sie wird als die Mutter des Thronfolgers verehrt. In Folge dieser Sitte sind leider die armen Kinder häufigen Vergiftungen und Ermordungen ausgesetzt, denn jede der Frauen, die ein Kind hat, erregt den Neid aller Kinderlosen, der noch ganz besonders gesteigert wird, wenn das Kind ein Knabe ist. Als die Prinzessin ihrem Gemahl nach Tebris folgte, ließ sie ihr Töchterchen unter der Obhut des Großvaters, des Schach's von Persien, zurück, um es vor den Nachstellungen ihrer Nebenbuhlerinnen zu bewahren.

Wenn der Vicekönig ausreitet, so eröffnen einige hundert Soldaten den Zug. Diesen folgen Diener mit großen Stöcken, die dem Volke zurufen, sich vor dem gewaltigen Herrscher zu beugen. Beamte, Militär und Dienerschaft umgeben den Prinzen, und Soldaten schließen wieder den Zug. Nur der Prinz ist zu Pferde, alle übrigen sind zu Fuße.

Auch des Prinzen Frauen dürfen zu Zeiten ausreiten; sie müssen sich aber dicht verhüllen und sind ganz von Eunuchen umgeben, deren mehrere voraus eilen und dem Volke verkündigen, daß die Frauen des Herrschers auf dem Wege seien. Alles muß dann die Straße verlassen und in die Häuser und Nebengäßchen fliehen.

Durch Dr. Casolani erfuhren die zurückgebliebenen Frauen des vertriebenen Prinzen Behmen, daß ich nach Tiflis zu gehen gedachte. Sie ließen mich ersuchen, zu

Die Vicekönigin ist bereits Mutter, aber leider nur eines Mädchens. Für jetzt ist sie noch die erste Gemahlin des Prinzen, weil ihm von keiner andern ein Knabe geboren wurde; diejenige aber, die den ersten Knaben zur Welt bringt, nimmt dann ihre Stelle ein. Sie wird als die Mutter des Thronfolgers verehrt. In Folge dieser Sitte sind leider die armen Kinder häufigen Vergiftungen und Ermordungen ausgesetzt, denn jede der Frauen, die ein Kind hat, erregt den Neid aller Kinderlosen, der noch ganz besonders gesteigert wird, wenn das Kind ein Knabe ist. Als die Prinzessin ihrem Gemahl nach Tebris folgte, ließ sie ihr Töchterchen unter der Obhut des Großvaters, des Schach’s von Persien, zurück, um es vor den Nachstellungen ihrer Nebenbuhlerinnen zu bewahren.

Wenn der Vicekönig ausreitet, so eröffnen einige hundert Soldaten den Zug. Diesen folgen Diener mit großen Stöcken, die dem Volke zurufen, sich vor dem gewaltigen Herrscher zu beugen. Beamte, Militär und Dienerschaft umgeben den Prinzen, und Soldaten schließen wieder den Zug. Nur der Prinz ist zu Pferde, alle übrigen sind zu Fuße.

Auch des Prinzen Frauen dürfen zu Zeiten ausreiten; sie müssen sich aber dicht verhüllen und sind ganz von Eunuchen umgeben, deren mehrere voraus eilen und dem Volke verkündigen, daß die Frauen des Herrschers auf dem Wege seien. Alles muß dann die Straße verlassen und in die Häuser und Nebengäßchen fliehen.

Durch Dr. Casolani erfuhren die zurückgebliebenen Frauen des vertriebenen Prinzen Behmen, daß ich nach Tiflis zu gehen gedachte. Sie ließen mich ersuchen, zu

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[232/0240] Die Vicekönigin ist bereits Mutter, aber leider nur eines Mädchens. Für jetzt ist sie noch die erste Gemahlin des Prinzen, weil ihm von keiner andern ein Knabe geboren wurde; diejenige aber, die den ersten Knaben zur Welt bringt, nimmt dann ihre Stelle ein. Sie wird als die Mutter des Thronfolgers verehrt. In Folge dieser Sitte sind leider die armen Kinder häufigen Vergiftungen und Ermordungen ausgesetzt, denn jede der Frauen, die ein Kind hat, erregt den Neid aller Kinderlosen, der noch ganz besonders gesteigert wird, wenn das Kind ein Knabe ist. Als die Prinzessin ihrem Gemahl nach Tebris folgte, ließ sie ihr Töchterchen unter der Obhut des Großvaters, des Schach’s von Persien, zurück, um es vor den Nachstellungen ihrer Nebenbuhlerinnen zu bewahren. Wenn der Vicekönig ausreitet, so eröffnen einige hundert Soldaten den Zug. Diesen folgen Diener mit großen Stöcken, die dem Volke zurufen, sich vor dem gewaltigen Herrscher zu beugen. Beamte, Militär und Dienerschaft umgeben den Prinzen, und Soldaten schließen wieder den Zug. Nur der Prinz ist zu Pferde, alle übrigen sind zu Fuße. Auch des Prinzen Frauen dürfen zu Zeiten ausreiten; sie müssen sich aber dicht verhüllen und sind ganz von Eunuchen umgeben, deren mehrere voraus eilen und dem Volke verkündigen, daß die Frauen des Herrschers auf dem Wege seien. Alles muß dann die Straße verlassen und in die Häuser und Nebengäßchen fliehen. Durch Dr. Casolani erfuhren die zurückgebliebenen Frauen des vertriebenen Prinzen Behmen, daß ich nach Tiflis zu gehen gedachte. Sie ließen mich ersuchen, zu

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Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/240>, abgerufen am 25.04.2024.