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Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.

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An Sonn- und Festtagen ist der niedliche Garten des Statthalters dem Publikum geöffnet. Man findet da Schaukel- und Ringelbahnen und zwei Musikcorps. Die Musik, von russischem Militär aufgeführt, war nicht so gut wie jene, die ich in Rio de Janeiro von den Schwarzen hörte.

Als ich die armenische Kirche besuchte, war gerade die Leiche eines Jünglings ausgestellt. Sie lag in einem kostbaren offenen Sarge, der mit rothem Sammt überzogen und mit Goldborten reich besetzt war. Die Leiche war mit Blumen überstreut, mit einer Art Krone geschmückt, und mit feiner, weißer Gaze überdeckt. Die Priester hielten in prächtigem Ornate die Trauerceremonien, die den katholischen sehr ähnlich waren. Die arme Mutter, an deren Seite ich zufällig zu knieen kam, schluchzte laut auf, als man sich anschickte, die theuern Reste hinweg zu tragen. Auch ich konnte mich einer Thräne nicht enthalten: ich beweinte nicht den Tod des Jünglings, wohl aber den tiefen Schmerz der gebeugten Mutter.

Diesen Trauerort verlassend, besuchte ich noch einige grusinische und armenische Familien. Man empfing mich in großen, geräumigen Zimmern, deren Einrichtung jedoch höchst einfach war. Längs den Wänden standen hölzerne, bemalte Truhen, zum Theile mit Teppichen über legt. Auf diesen Truhen sitzen, essen und schlafen diese Leute. Die Frauen trugen einfaches griechisches Costüme.

Auf den Straßen sieht man europäische und asiatische Trachten so häufig neben einander, daß weder die einen noch die andern auffallen. Am neuesten war mir

An Sonn- und Festtagen ist der niedliche Garten des Statthalters dem Publikum geöffnet. Man findet da Schaukel- und Ringelbahnen und zwei Musikcorps. Die Musik, von russischem Militär aufgeführt, war nicht so gut wie jene, die ich in Rio de Janeiro von den Schwarzen hörte.

Als ich die armenische Kirche besuchte, war gerade die Leiche eines Jünglings ausgestellt. Sie lag in einem kostbaren offenen Sarge, der mit rothem Sammt überzogen und mit Goldborten reich besetzt war. Die Leiche war mit Blumen überstreut, mit einer Art Krone geschmückt, und mit feiner, weißer Gaze überdeckt. Die Priester hielten in prächtigem Ornate die Trauerceremonien, die den katholischen sehr ähnlich waren. Die arme Mutter, an deren Seite ich zufällig zu knieen kam, schluchzte laut auf, als man sich anschickte, die theuern Reste hinweg zu tragen. Auch ich konnte mich einer Thräne nicht enthalten: ich beweinte nicht den Tod des Jünglings, wohl aber den tiefen Schmerz der gebeugten Mutter.

Diesen Trauerort verlassend, besuchte ich noch einige grusinische und armenische Familien. Man empfing mich in großen, geräumigen Zimmern, deren Einrichtung jedoch höchst einfach war. Längs den Wänden standen hölzerne, bemalte Truhen, zum Theile mit Teppichen über legt. Auf diesen Truhen sitzen, essen und schlafen diese Leute. Die Frauen trugen einfaches griechisches Costüme.

Auf den Straßen sieht man europäische und asiatische Trachten so häufig neben einander, daß weder die einen noch die andern auffallen. Am neuesten war mir

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[263/0271] An Sonn- und Festtagen ist der niedliche Garten des Statthalters dem Publikum geöffnet. Man findet da Schaukel- und Ringelbahnen und zwei Musikcorps. Die Musik, von russischem Militär aufgeführt, war nicht so gut wie jene, die ich in Rio de Janeiro von den Schwarzen hörte. Als ich die armenische Kirche besuchte, war gerade die Leiche eines Jünglings ausgestellt. Sie lag in einem kostbaren offenen Sarge, der mit rothem Sammt überzogen und mit Goldborten reich besetzt war. Die Leiche war mit Blumen überstreut, mit einer Art Krone geschmückt, und mit feiner, weißer Gaze überdeckt. Die Priester hielten in prächtigem Ornate die Trauerceremonien, die den katholischen sehr ähnlich waren. Die arme Mutter, an deren Seite ich zufällig zu knieen kam, schluchzte laut auf, als man sich anschickte, die theuern Reste hinweg zu tragen. Auch ich konnte mich einer Thräne nicht enthalten: ich beweinte nicht den Tod des Jünglings, wohl aber den tiefen Schmerz der gebeugten Mutter. Diesen Trauerort verlassend, besuchte ich noch einige grusinische und armenische Familien. Man empfing mich in großen, geräumigen Zimmern, deren Einrichtung jedoch höchst einfach war. Längs den Wänden standen hölzerne, bemalte Truhen, zum Theile mit Teppichen über legt. Auf diesen Truhen sitzen, essen und schlafen diese Leute. Die Frauen trugen einfaches griechisches Costüme. Auf den Straßen sieht man europäische und asiatische Trachten so häufig neben einander, daß weder die einen noch die andern auffallen. Am neuesten war mir

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Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/271>, abgerufen am 19.04.2024.