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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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von dem Gesetze wäre. Denn diese Bewegung entsteht durch
die Muskeln der dem Reiz entgegengesetzten Seite. Johannes
Müller sagt nämlich (Physiologie I. p. 619):

"Die bisher beschriebenen Phänomene haben zwar alle mit
einander gemein, dass das Rückenmark das Bindeglied zwischen
einer sensorischen und motorischen Bewegung des Nervenprin¬
zips ist, indess lassen sich auch noch bestimmter die Wege be¬
zeichnen, welche bei den reflectirten Bewegungen von den
Empfindungsnerven auf die motorischen Nerven im Rückenmark
die Leitung bewirken. Die gewöhnlichste Art der reflectirten
Bewegung ist, dass die Muskeln des Gliedes, an welchem man
heftige Empfindungen erregt, bewegt werden, wie bei Verbren¬
nungen in der Haut Zuckungen zunächst in dem verbrannten
Gliede und im Anfage der Narcotisation eines Thieres bei Em¬
pfindungsreizung der Haut am leichtesten auch die Muskeln des
gereizten Gliedes bewegt werden, wie der Bissen die reflec¬
tirte Bewegung der Schlingwerkzeuge hervorbringt, und der
Staub in der Conjunctiva blosse Empfindung erregend das re¬
flectirte Schliessen der Augenlieder hervorruft und wie endlich
die Reize des Urins und der Excremente unmittelbar auf die
Bewegung der Sphincteren wirken. Sobald daher die Empfin¬
dungserregung das Rückenmark erreicht hat, so geht die Bewe¬
gung nicht auf das ganze Rückenmark über, sondern am leich¬
testen auf die motorischen Nerven, welche den nächsten Ursprung
an den gereizten sensiblen Nerven haben; oder mit anderen
Worten, der leichteste Weg der Strömung oder Schwingung ist
von der hinteren Wurzel eines Nerven oder seiner einzelnen
Primitivfasern nach dessen vorderer Wurzel oder nach den vor¬
deren Wurzeln mehrer nahe gelegenen Nerven." --

Zu bemerken bliebe ausserdem, dass wir für den Begriff
der Einseitigkeit nur die rechte Körperhälfte der linken als cor¬
respondirend entgegengesetzt betrachten, entsprechend der rech¬
ten und linken Rückenmarkshälfte, nicht aber die vordere der
hinteren.

Larrey hat nämlich die Behauptung aufgestellt, dass Wun¬

von dem Gesetze wäre. Denn diese Bewegung entsteht durch
die Muskeln der dem Reiz entgegengesetzten Seite. Johannes
Müller sagt nämlich (Physiologie I. p. 619):

„Die bisher beschriebenen Phänomene haben zwar alle mit
einander gemein, dass das Rückenmark das Bindeglied zwischen
einer sensorischen und motorischen Bewegung des Nervenprin¬
zips ist, indess lassen sich auch noch bestimmter die Wege be¬
zeichnen, welche bei den reflectirten Bewegungen von den
Empfindungsnerven auf die motorischen Nerven im Rückenmark
die Leitung bewirken. Die gewöhnlichste Art der reflectirten
Bewegung ist, dass die Muskeln des Gliedes, an welchem man
heftige Empfindungen erregt, bewegt werden, wie bei Verbren¬
nungen in der Haut Zuckungen zunächst in dem verbrannten
Gliede und im Anfage der Narcotisation eines Thieres bei Em¬
pfindungsreizung der Haut am leichtesten auch die Muskeln des
gereizten Gliedes bewegt werden, wie der Bissen die reflec¬
tirte Bewegung der Schlingwerkzeuge hervorbringt, und der
Staub in der Conjunctiva blosse Empfindung erregend das re¬
flectirte Schliessen der Augenlieder hervorruft und wie endlich
die Reize des Urins und der Excremente unmittelbar auf die
Bewegung der Sphincteren wirken. Sobald daher die Empfin¬
dungserregung das Rückenmark erreicht hat, so geht die Bewe¬
gung nicht auf das ganze Rückenmark über, sondern am leich¬
testen auf die motorischen Nerven, welche den nächsten Ursprung
an den gereizten sensiblen Nerven haben; oder mit anderen
Worten, der leichteste Weg der Strömung oder Schwingung ist
von der hinteren Wurzel eines Nerven oder seiner einzelnen
Primitivfasern nach dessen vorderer Wurzel oder nach den vor¬
deren Wurzeln mehrer nahe gelegenen Nerven.“ —

Zu bemerken bliebe ausserdem, dass wir für den Begriff
der Einseitigkeit nur die rechte Körperhälfte der linken als cor¬
respondirend entgegengesetzt betrachten, entsprechend der rech¬
ten und linken Rückenmarkshälfte, nicht aber die vordere der
hinteren.

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[70/0092] von dem Gesetze wäre. Denn diese Bewegung entsteht durch die Muskeln der dem Reiz entgegengesetzten Seite. Johannes Müller sagt nämlich (Physiologie I. p. 619): „Die bisher beschriebenen Phänomene haben zwar alle mit einander gemein, dass das Rückenmark das Bindeglied zwischen einer sensorischen und motorischen Bewegung des Nervenprin¬ zips ist, indess lassen sich auch noch bestimmter die Wege be¬ zeichnen, welche bei den reflectirten Bewegungen von den Empfindungsnerven auf die motorischen Nerven im Rückenmark die Leitung bewirken. Die gewöhnlichste Art der reflectirten Bewegung ist, dass die Muskeln des Gliedes, an welchem man heftige Empfindungen erregt, bewegt werden, wie bei Verbren¬ nungen in der Haut Zuckungen zunächst in dem verbrannten Gliede und im Anfage der Narcotisation eines Thieres bei Em¬ pfindungsreizung der Haut am leichtesten auch die Muskeln des gereizten Gliedes bewegt werden, wie der Bissen die reflec¬ tirte Bewegung der Schlingwerkzeuge hervorbringt, und der Staub in der Conjunctiva blosse Empfindung erregend das re¬ flectirte Schliessen der Augenlieder hervorruft und wie endlich die Reize des Urins und der Excremente unmittelbar auf die Bewegung der Sphincteren wirken. Sobald daher die Empfin¬ dungserregung das Rückenmark erreicht hat, so geht die Bewe¬ gung nicht auf das ganze Rückenmark über, sondern am leich¬ testen auf die motorischen Nerven, welche den nächsten Ursprung an den gereizten sensiblen Nerven haben; oder mit anderen Worten, der leichteste Weg der Strömung oder Schwingung ist von der hinteren Wurzel eines Nerven oder seiner einzelnen Primitivfasern nach dessen vorderer Wurzel oder nach den vor¬ deren Wurzeln mehrer nahe gelegenen Nerven.“ — Zu bemerken bliebe ausserdem, dass wir für den Begriff der Einseitigkeit nur die rechte Körperhälfte der linken als cor¬ respondirend entgegengesetzt betrachten, entsprechend der rech¬ ten und linken Rückenmarkshälfte, nicht aber die vordere der hinteren. Larrey hat nämlich die Behauptung aufgestellt, dass Wun¬

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/92>, abgerufen am 19.04.2024.