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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Widerlegung des Horaz
den Aufbehalt seiner Asche, rühren soll. Doch
ich halte mich nicht an seinen Cörper, vielweni-
niger seine Seele, von der ich nicht weiß, wo
ich sie suchen oder ausgattern soll, sondern bloß
an sein Buch de arte poetica.

Jch habe vor ein zehn Jahren, oder wie lan-
ge es ist, bey dem damals lebenden Assessore des
Schöppenstuhls, D. Reichhelm, eine erstaun-
liche Collection von allen nur zu habenden Edi-
tionen des Horaz
gesehen; und ist es Schade,
daß solche, nach erfolgter Verauctionirung sei-
ner Bibliothec, so sehr zerstreuet worden, da
schwerlich ein anderer Gelehrter sich die Mühe
genommen haben wird, alle nur mögliche E-
ditionen
und Handschriften von des Horaz
Schriften,
so viel deren zu haben, aufzutreiben.
Meine Erstaunung aber wuchs um ein merkli-
ches, da mir der selige Mann ein mit großem
Fleiße mundirtes Manuscript
wies. Es war
solches eine in den zierlichsten deutschen Versen
beschehene Uebersetzung der zwölf Bücher Ae-
neidos
des Virgils, und auch aller Gedichte
des Horaz.
Er hat wol dreyßig und mehr Jah-
re daran gearbeitet, ehe er es in so vollkomme-
nen Stand
gesetzet. Er hat nie den Ruhm ei-
nes großen Dichters gesucht; aber er verdient
den Ruhm eines der größten Dichter. Weil
wir die Verstorbenen nach ihrem wahren Wer-
the
schätzen: So ist alles, was ich hier anfüh-
re, mein purer Ernst. Zudem hat er alles auf
Conto seines Originals übersetzt. Er gehet

den

Widerlegung des Horaz
den Aufbehalt ſeiner Aſche, ruͤhren ſoll. Doch
ich halte mich nicht an ſeinen Coͤrper, vielweni-
niger ſeine Seele, von der ich nicht weiß, wo
ich ſie ſuchen oder ausgattern ſoll, ſondern bloß
an ſein Buch de arte poëtica.

Jch habe vor ein zehn Jahren, oder wie lan-
ge es iſt, bey dem damals lebenden Aſſeſſore des
Schoͤppenſtuhls, D. Reichhelm, eine erſtaun-
liche Collection von allen nur zu habenden Edi-
tionen des Horaz
geſehen; und iſt es Schade,
daß ſolche, nach erfolgter Verauctionirung ſei-
ner Bibliothec, ſo ſehr zerſtreuet worden, da
ſchwerlich ein anderer Gelehrter ſich die Muͤhe
genommen haben wird, alle nur moͤgliche E-
ditionen
und Handſchriften von des Horaz
Schriften,
ſo viel deren zu haben, aufzutreiben.
Meine Erſtaunung aber wuchs um ein merkli-
ches, da mir der ſelige Mann ein mit großem
Fleiße mundirtes Manuſcript
wies. Es war
ſolches eine in den zierlichſten deutſchen Verſen
beſchehene Ueberſetzung der zwoͤlf Buͤcher Ae-
neidos
des Virgils, und auch aller Gedichte
des Horaz.
Er hat wol dreyßig und mehr Jah-
re daran gearbeitet, ehe er es in ſo vollkomme-
nen Stand
geſetzet. Er hat nie den Ruhm ei-
nes großen Dichters geſucht; aber er verdient
den Ruhm eines der groͤßten Dichter. Weil
wir die Verſtorbenen nach ihrem wahren Wer-
the
ſchaͤtzen: So iſt alles, was ich hier anfuͤh-
re, mein purer Ernſt. Zudem hat er alles auf
Conto ſeines Originals uͤberſetzt. Er gehet

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[160/0168] Widerlegung des Horaz den Aufbehalt ſeiner Aſche, ruͤhren ſoll. Doch ich halte mich nicht an ſeinen Coͤrper, vielweni- niger ſeine Seele, von der ich nicht weiß, wo ich ſie ſuchen oder ausgattern ſoll, ſondern bloß an ſein Buch de arte poëtica. Jch habe vor ein zehn Jahren, oder wie lan- ge es iſt, bey dem damals lebenden Aſſeſſore des Schoͤppenſtuhls, D. Reichhelm, eine erſtaun- liche Collection von allen nur zu habenden Edi- tionen des Horaz geſehen; und iſt es Schade, daß ſolche, nach erfolgter Verauctionirung ſei- ner Bibliothec, ſo ſehr zerſtreuet worden, da ſchwerlich ein anderer Gelehrter ſich die Muͤhe genommen haben wird, alle nur moͤgliche E- ditionen und Handſchriften von des Horaz Schriften, ſo viel deren zu haben, aufzutreiben. Meine Erſtaunung aber wuchs um ein merkli- ches, da mir der ſelige Mann ein mit großem Fleiße mundirtes Manuſcript wies. Es war ſolches eine in den zierlichſten deutſchen Verſen beſchehene Ueberſetzung der zwoͤlf Buͤcher Ae- neidos des Virgils, und auch aller Gedichte des Horaz. Er hat wol dreyßig und mehr Jah- re daran gearbeitet, ehe er es in ſo vollkomme- nen Stand geſetzet. Er hat nie den Ruhm ei- nes großen Dichters geſucht; aber er verdient den Ruhm eines der groͤßten Dichter. Weil wir die Verſtorbenen nach ihrem wahren Wer- the ſchaͤtzen: So iſt alles, was ich hier anfuͤh- re, mein purer Ernſt. Zudem hat er alles auf Conto ſeines Originals uͤberſetzt. Er gehet den

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/168>, abgerufen am 19.04.2024.