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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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III. Ein Ragout.
in einer Schüssel zusammen. Gerade so ein
appetitliches Hasen- und Schöps-Ragout trä-
get der neue Speise-Wirth in seinem Tempel
des guten Geschmacks
auf. Jch muß doch
nun einmal mich angewöhnen, seine Garküche
einen Tempel zu nennen, ob mir gleich das
Wort wol zehnmal im Halse, wie ein Knöchel-
gen, oder eine Gräte, stecken geblieben. Aber
weil er sich recht viel damit weiß, und auf al-
len Seiten seinen so betitelten guten Ge-
schmacks-Tempel
anpreiset: So will ich hin-
fort bey dieser seiner Benennung bleiben, ohne
ihm im geringsten dadurch einzugestehen, daß er
einen guten Geschmack gehabt, da er diesen
Titel seiner Schrift gegeben. Alle Jdeen, die
einen wahrhaften bon goaut haben, oder rich-
tige schöne Gedanken
sind, lassen sich in allen
politen Sprachen nach den Worten ausdrük-
ken. Wenn aber ein Ausdruck in allen ga-
lanten Sprachen nicht klappen
will, und ei-
nen undeutlichen Begriff wenigstens enthält:
So ist solcher gewiß und ohnfehlbar unrichtig.
Nun sagt sonst kein Deutscher: Das ist ein
Tempel von gutem Geschmacke; auch kein Fran-
zose: C' est un Temple de bon goaut; auch
kein Lateiner: Templum sensus recti; ja man
versuche es in italiänischer, englischer, spani-
scher
und sogar ulanischer Sprache; es wird
mich keiner verstehen, wenn ich vom Tempel
des guten Geschmacks
rede; oder, wenn einer
gern sich speisen lassen mögte, ich zu ihm sagen

wollte:

III. Ein Ragout.
in einer Schuͤſſel zuſammen. Gerade ſo ein
appetitliches Haſen- und Schoͤps-Ragout traͤ-
get der neue Speiſe-Wirth in ſeinem Tempel
des guten Geſchmacks
auf. Jch muß doch
nun einmal mich angewoͤhnen, ſeine Garkuͤche
einen Tempel zu nennen, ob mir gleich das
Wort wol zehnmal im Halſe, wie ein Knoͤchel-
gen, oder eine Graͤte, ſtecken geblieben. Aber
weil er ſich recht viel damit weiß, und auf al-
len Seiten ſeinen ſo betitelten guten Ge-
ſchmacks-Tempel
anpreiſet: So will ich hin-
fort bey dieſer ſeiner Benennung bleiben, ohne
ihm im geringſten dadurch einzugeſtehen, daß er
einen guten Geſchmack gehabt, da er dieſen
Titel ſeiner Schrift gegeben. Alle Jdeen, die
einen wahrhaften bon goût haben, oder rich-
tige ſchoͤne Gedanken
ſind, laſſen ſich in allen
politen Sprachen nach den Worten ausdruͤk-
ken. Wenn aber ein Ausdruck in allen ga-
lanten Sprachen nicht klappen
will, und ei-
nen undeutlichen Begriff wenigſtens enthaͤlt:
So iſt ſolcher gewiß und ohnfehlbar unrichtig.
Nun ſagt ſonſt kein Deutſcher: Das iſt ein
Tempel von gutem Geſchmacke; auch kein Fran-
zoſe: C’ eſt un Temple de bon goût; auch
kein Lateiner: Templum ſenſus recti; ja man
verſuche es in italiaͤniſcher, engliſcher, ſpani-
ſcher
und ſogar ulaniſcher Sprache; es wird
mich keiner verſtehen, wenn ich vom Tempel
des guten Geſchmacks
rede; oder, wenn einer
gern ſich ſpeiſen laſſen moͤgte, ich zu ihm ſagen

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[264/0272] III. Ein Ragout. in einer Schuͤſſel zuſammen. Gerade ſo ein appetitliches Haſen- und Schoͤps-Ragout traͤ- get der neue Speiſe-Wirth in ſeinem Tempel des guten Geſchmacks auf. Jch muß doch nun einmal mich angewoͤhnen, ſeine Garkuͤche einen Tempel zu nennen, ob mir gleich das Wort wol zehnmal im Halſe, wie ein Knoͤchel- gen, oder eine Graͤte, ſtecken geblieben. Aber weil er ſich recht viel damit weiß, und auf al- len Seiten ſeinen ſo betitelten guten Ge- ſchmacks-Tempel anpreiſet: So will ich hin- fort bey dieſer ſeiner Benennung bleiben, ohne ihm im geringſten dadurch einzugeſtehen, daß er einen guten Geſchmack gehabt, da er dieſen Titel ſeiner Schrift gegeben. Alle Jdeen, die einen wahrhaften bon goût haben, oder rich- tige ſchoͤne Gedanken ſind, laſſen ſich in allen politen Sprachen nach den Worten ausdruͤk- ken. Wenn aber ein Ausdruck in allen ga- lanten Sprachen nicht klappen will, und ei- nen undeutlichen Begriff wenigſtens enthaͤlt: So iſt ſolcher gewiß und ohnfehlbar unrichtig. Nun ſagt ſonſt kein Deutſcher: Das iſt ein Tempel von gutem Geſchmacke; auch kein Fran- zoſe: C’ eſt un Temple de bon goût; auch kein Lateiner: Templum ſenſus recti; ja man verſuche es in italiaͤniſcher, engliſcher, ſpani- ſcher und ſogar ulaniſcher Sprache; es wird mich keiner verſtehen, wenn ich vom Tempel des guten Geſchmacks rede; oder, wenn einer gern ſich ſpeiſen laſſen moͤgte, ich zu ihm ſagen wollte:

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/272>, abgerufen am 29.03.2024.