Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

bey der Froschmäusler-Gesellschaft.
nes Brocks und anderer uns fatalen erhabenen
Poeten anatomiren, ihre darinn versteckte Kunst-
Regeln herausdistilliren; und wenn ich solche
gerade umgekehret, werden nothwendig gar
sichere Cautelen einer kriechenden Poesie her-
auskommen.

9. Maxime.

Das erste, worüber ein Hans-Sachsen- und
kriechender Poete sich die Nägel öfters zu zer-
beissen pfleget, ist die Erfindung des Thematis
oder auszuführenden Satzes. Die Froschmäus-
ler-Gesellschaft aber gestattet bey denen ihr über-
reichten Gedichten alle nur ersinnliche Thema-
ta auf alle und jede Fälle zu appliciren.

10. Maxime.

Folglich kan einerley Thema sowol bey einer
fröhlichen als traurigen Begebenheit durchführen.
Der Held, der in einem Gedichte an einen gros-
sen Herrn aufgeführt wird, kann auch in einem
Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder
Bürgermeister kommen; man giebt ihm nur
eine kleine andere Tour, z. E. a contrario, a
simili, a dissimili, etc.

11. Maxime.

Man darf aus allen Disciplinen in der Welt
einen Satz herausnehmen, er sey wahr oder
falsch, und ihn in allen Gedichten anbringen,
sollte man auch einen Sprung von der Sünd-
fluth bis auf einen mäßigen Platz-Regen thun,
den man poetisch beschreiben wollte.

12. Ma-
E 2

bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
nes Brocks und anderer uns fatalen erhabenen
Poeten anatomiren, ihre darinn verſteckte Kunſt-
Regeln herausdiſtilliren; und wenn ich ſolche
gerade umgekehret, werden nothwendig gar
ſichere Cautelen einer kriechenden Poeſie her-
auskommen.

9. Maxime.

Das erſte, woruͤber ein Hans-Sachſen- und
kriechender Poete ſich die Naͤgel oͤfters zu zer-
beiſſen pfleget, iſt die Erfindung des Thematis
oder auszufuͤhrenden Satzes. Die Froſchmaͤus-
ler-Geſellſchaft aber geſtattet bey denen ihr uͤber-
reichten Gedichten alle nur erſinnliche Thema-
ta auf alle und jede Faͤlle zu appliciren.

10. Maxime.

Folglich kan einerley Thema ſowol bey einer
froͤhlichen als traurigen Begebenheit durchfuͤhren.
Der Held, der in einem Gedichte an einen groſ-
ſen Herrn aufgefuͤhrt wird, kann auch in einem
Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder
Buͤrgermeiſter kommen; man giebt ihm nur
eine kleine andere Tour, z. E. a contrario, a
ſimili, a diſſimili, etc.

11. Maxime.

Man darf aus allen Diſciplinen in der Welt
einen Satz herausnehmen, er ſey wahr oder
falſch, und ihn in allen Gedichten anbringen,
ſollte man auch einen Sprung von der Suͤnd-
fluth bis auf einen maͤßigen Platz-Regen thun,
den man poetiſch beſchreiben wollte.

12. Ma-
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">bey der Fro&#x017F;chma&#x0364;usler-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft.</hi></fw><lb/>
nes <hi rendition="#fr">Brocks</hi> und anderer uns fatalen erhabenen<lb/>
Poeten anatomiren, ihre darinn ver&#x017F;teckte Kun&#x017F;t-<lb/>
Regeln herausdi&#x017F;tilliren; und wenn ich &#x017F;olche<lb/><hi rendition="#fr">gerade umgekehret,</hi> werden nothwendig gar<lb/>
&#x017F;ichere Cautelen einer <hi rendition="#fr">kriechenden</hi> Poe&#x017F;ie her-<lb/>
auskommen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">9. Maxime.</hi> </head><lb/>
          <p>Das er&#x017F;te, woru&#x0364;ber ein Hans-Sach&#x017F;en- und<lb/>
kriechender Poete &#x017F;ich die Na&#x0364;gel o&#x0364;fters zu zer-<lb/>
bei&#x017F;&#x017F;en pfleget, i&#x017F;t die Erfindung des <hi rendition="#fr">Thematis</hi><lb/>
oder auszufu&#x0364;hrenden Satzes. Die Fro&#x017F;chma&#x0364;us-<lb/>
ler-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aber ge&#x017F;tattet bey denen ihr u&#x0364;ber-<lb/>
reichten Gedichten <hi rendition="#fr">alle nur er&#x017F;innliche</hi> Thema-<lb/>
ta auf <hi rendition="#fr">alle und jede Fa&#x0364;lle</hi> zu appliciren.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">10. Maxime.</hi> </head><lb/>
          <p>Folglich kan einerley Thema &#x017F;owol bey einer<lb/>
fro&#x0364;hlichen als traurigen Begebenheit durchfu&#x0364;hren.<lb/>
Der Held, der in einem Gedichte an einen gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Herrn aufgefu&#x0364;hrt wird, kann auch in einem<lb/><hi rendition="#fr">Gratulanten-Vers</hi> an einen Kaufmann oder<lb/>
Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter kommen; man giebt ihm nur<lb/>
eine kleine andere Tour, z. E. <hi rendition="#aq">a contrario, a<lb/>
&#x017F;imili, a di&#x017F;&#x017F;imili, etc.</hi></p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">11. Maxime.</hi> </head><lb/>
          <p>Man darf aus allen Di&#x017F;ciplinen in der Welt<lb/>
einen Satz herausnehmen, er &#x017F;ey wahr oder<lb/>
fal&#x017F;ch, und ihn in allen Gedichten anbringen,<lb/>
&#x017F;ollte man auch einen Sprung von der Su&#x0364;nd-<lb/>
fluth bis auf einen <hi rendition="#fr">ma&#x0364;ßigen Platz-Regen</hi> thun,<lb/>
den man poeti&#x017F;ch be&#x017F;chreiben wollte.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">E 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">12. Ma-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0075] bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. nes Brocks und anderer uns fatalen erhabenen Poeten anatomiren, ihre darinn verſteckte Kunſt- Regeln herausdiſtilliren; und wenn ich ſolche gerade umgekehret, werden nothwendig gar ſichere Cautelen einer kriechenden Poeſie her- auskommen. 9. Maxime. Das erſte, woruͤber ein Hans-Sachſen- und kriechender Poete ſich die Naͤgel oͤfters zu zer- beiſſen pfleget, iſt die Erfindung des Thematis oder auszufuͤhrenden Satzes. Die Froſchmaͤus- ler-Geſellſchaft aber geſtattet bey denen ihr uͤber- reichten Gedichten alle nur erſinnliche Thema- ta auf alle und jede Faͤlle zu appliciren. 10. Maxime. Folglich kan einerley Thema ſowol bey einer froͤhlichen als traurigen Begebenheit durchfuͤhren. Der Held, der in einem Gedichte an einen groſ- ſen Herrn aufgefuͤhrt wird, kann auch in einem Gratulanten-Vers an einen Kaufmann oder Buͤrgermeiſter kommen; man giebt ihm nur eine kleine andere Tour, z. E. a contrario, a ſimili, a diſſimili, etc. 11. Maxime. Man darf aus allen Diſciplinen in der Welt einen Satz herausnehmen, er ſey wahr oder falſch, und ihn in allen Gedichten anbringen, ſollte man auch einen Sprung von der Suͤnd- fluth bis auf einen maͤßigen Platz-Regen thun, den man poetiſch beſchreiben wollte. 12. Ma- E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/75
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/75>, abgerufen am 24.04.2024.