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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Funfzig Maximen
Lebens-Geister durch eine angenehme Music und
aufgeweckte Lust-Spiele zu erfrischen, müssen sie
auf den Knoten der Oper genau Acht haben,
wie solcher endlich werde aufgelöset werden; sonst,
wo sie dieses versäumen, dünket ihnen alles, was
vorher aufgeführet worden, als ein dunkles Rä-
zel und ein verwirrter Handel.

20. Maxime.

Historische Poesien müssen, nach dem Cha-
racter der kriechenden Poesie, entweder fein fa-
belhaft,
oder schwülstig, oder so matt und
trocken, als wenn die Markt-Sänger ihre
traurige Mord-Geschichten versweise absin-
gen, eingerichtet werden. Es schadet auch nicht,
wenn ein kriechender Poete vorgefallene
Schlachten
beschreibet, daß er denen Pulver
und Bley, Canonen und Feuer-Mörser beyle-
get, die zu so einer Zeit gelebet, da man noch
vom Pulver und Schieß-Gewehr gar nichts ge-
wußt. Beschreibt er die alten Belagerungen:
So giebt er solche Modelle von Vestungen an,
als Vauban erfunden. Hat seinem Helden,
für großem Angst-Schweisse, etwa die Nase
geblutet: So spricht der poetische Fuchsschwän-
zer, er habe sich im Blute seiner Feinde gebadet.
Er muß große Thaten können klein, und kleine
groß
machen, u. s. w.

21. Maxime.

Es ist denen Hohen in der Welt wol eher be-
gegnet, daß über ihr gesalbtes Haupt ein Unge-

ziefer

Funfzig Maximen
Lebens-Geiſter durch eine angenehme Muſic und
aufgeweckte Luſt-Spiele zu erfriſchen, muͤſſen ſie
auf den Knoten der Oper genau Acht haben,
wie ſolcher endlich werde aufgeloͤſet werden; ſonſt,
wo ſie dieſes verſaͤumen, duͤnket ihnen alles, was
vorher aufgefuͤhret worden, als ein dunkles Raͤ-
zel und ein verwirrter Handel.

20. Maxime.

Hiſtoriſche Poeſien muͤſſen, nach dem Cha-
racter der kriechenden Poeſie, entweder fein fa-
belhaft,
oder ſchwuͤlſtig, oder ſo matt und
trocken, als wenn die Markt-Saͤnger ihre
traurige Mord-Geſchichten versweiſe abſin-
gen, eingerichtet werden. Es ſchadet auch nicht,
wenn ein kriechender Poete vorgefallene
Schlachten
beſchreibet, daß er denen Pulver
und Bley, Canonen und Feuer-Moͤrſer beyle-
get, die zu ſo einer Zeit gelebet, da man noch
vom Pulver und Schieß-Gewehr gar nichts ge-
wußt. Beſchreibt er die alten Belagerungen:
So giebt er ſolche Modelle von Veſtungen an,
als Vauban erfunden. Hat ſeinem Helden,
fuͤr großem Angſt-Schweiſſe, etwa die Naſe
geblutet: So ſpricht der poetiſche Fuchsſchwaͤn-
zer, er habe ſich im Blute ſeiner Feinde gebadet.
Er muß große Thaten koͤnnen klein, und kleine
groß
machen, u. ſ. w.

21. Maxime.

Es iſt denen Hohen in der Welt wol eher be-
gegnet, daß uͤber ihr geſalbtes Haupt ein Unge-

ziefer
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[72/0080] Funfzig Maximen Lebens-Geiſter durch eine angenehme Muſic und aufgeweckte Luſt-Spiele zu erfriſchen, muͤſſen ſie auf den Knoten der Oper genau Acht haben, wie ſolcher endlich werde aufgeloͤſet werden; ſonſt, wo ſie dieſes verſaͤumen, duͤnket ihnen alles, was vorher aufgefuͤhret worden, als ein dunkles Raͤ- zel und ein verwirrter Handel. 20. Maxime. Hiſtoriſche Poeſien muͤſſen, nach dem Cha- racter der kriechenden Poeſie, entweder fein fa- belhaft, oder ſchwuͤlſtig, oder ſo matt und trocken, als wenn die Markt-Saͤnger ihre traurige Mord-Geſchichten versweiſe abſin- gen, eingerichtet werden. Es ſchadet auch nicht, wenn ein kriechender Poete vorgefallene Schlachten beſchreibet, daß er denen Pulver und Bley, Canonen und Feuer-Moͤrſer beyle- get, die zu ſo einer Zeit gelebet, da man noch vom Pulver und Schieß-Gewehr gar nichts ge- wußt. Beſchreibt er die alten Belagerungen: So giebt er ſolche Modelle von Veſtungen an, als Vauban erfunden. Hat ſeinem Helden, fuͤr großem Angſt-Schweiſſe, etwa die Naſe geblutet: So ſpricht der poetiſche Fuchsſchwaͤn- zer, er habe ſich im Blute ſeiner Feinde gebadet. Er muß große Thaten koͤnnen klein, und kleine groß machen, u. ſ. w. 21. Maxime. Es iſt denen Hohen in der Welt wol eher be- gegnet, daß uͤber ihr geſalbtes Haupt ein Unge- ziefer

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/80>, abgerufen am 28.03.2024.