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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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bey der Froschmäusler-Gesellschaft.
er nur jedes Ding bey seinem rechten Namen
frey nennen darf.

29. Maxime.

Moralische Gedichte, sonderlich die Beschrei-
bung der Tugenden und Laster, oder eine leb-
hafte Abschilderung derer Genies, Gemüths-
Neigungen, Affecten
und Temperamente sind
auch nicht nach dem Geschmacke derer kriechen-
den Poeten. Sie können sich nicht in so sub-
tile Würmergen
verwandeln, die denen Leuten
bis ins Gehirn kriechen könnten. Wagt er sich
aber ja, dieses oder jenes Gemüths-Character
abzuschildern: So wird er entweder, wie die
Katze über die heisse Kohlen, flüchtig hinweg ei-
len, oder ganz widerwärtige Begriffe, die
nicht bey solcher Gemüthsfassung zugleich beste-
hen können, zusammen reimen; so daß er z. E.
eben dem, den er als großmüthig beschreiben
wollen, die niederträchtigsten Handlungen bey-
leget; einen Geizigen anders wo zum Verschwen-
der
macht, oder gar die Namen umtaufet, und
die Laster als Tugenden, die Tugenden aber als
Fehler und Laster beschreibet.

30. Maxime.

Wenn ein kriechender Poete sich mit seines
gleichen, oder niedrigern, in poetischen Brief-
Wechsel
einlässet, bleiben es meistens Anecdo-
ten,
die kein Buchhändler des Papiers und
Druckes werth achten will. Aber die löbliche
Froschmäusler-Gesellschaft besitzt eine Samm-
lung von etlichen tausend poetischen Briefen, die

von

bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft.
er nur jedes Ding bey ſeinem rechten Namen
frey nennen darf.

29. Maxime.

Moraliſche Gedichte, ſonderlich die Beſchrei-
bung der Tugenden und Laſter, oder eine leb-
hafte Abſchilderung derer Genies, Gemuͤths-
Neigungen, Affecten
und Temperamente ſind
auch nicht nach dem Geſchmacke derer kriechen-
den Poeten. Sie koͤnnen ſich nicht in ſo ſub-
tile Wuͤrmergen
verwandeln, die denen Leuten
bis ins Gehirn kriechen koͤnnten. Wagt er ſich
aber ja, dieſes oder jenes Gemuͤths-Character
abzuſchildern: So wird er entweder, wie die
Katze uͤber die heiſſe Kohlen, fluͤchtig hinweg ei-
len, oder ganz widerwaͤrtige Begriffe, die
nicht bey ſolcher Gemuͤthsfaſſung zugleich beſte-
hen koͤnnen, zuſammen reimen; ſo daß er z. E.
eben dem, den er als großmuͤthig beſchreiben
wollen, die niedertraͤchtigſten Handlungen bey-
leget; einen Geizigen anders wo zum Verſchwen-
der
macht, oder gar die Namen umtaufet, und
die Laſter als Tugenden, die Tugenden aber als
Fehler und Laſter beſchreibet.

30. Maxime.

Wenn ein kriechender Poete ſich mit ſeines
gleichen, oder niedrigern, in poetiſchen Brief-
Wechſel
einlaͤſſet, bleiben es meiſtens Anecdo-
ten,
die kein Buchhaͤndler des Papiers und
Druckes werth achten will. Aber die loͤbliche
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft beſitzt eine Samm-
lung von etlichen tauſend poetiſchen Briefen, die

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[79/0087] bey der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft. er nur jedes Ding bey ſeinem rechten Namen frey nennen darf. 29. Maxime. Moraliſche Gedichte, ſonderlich die Beſchrei- bung der Tugenden und Laſter, oder eine leb- hafte Abſchilderung derer Genies, Gemuͤths- Neigungen, Affecten und Temperamente ſind auch nicht nach dem Geſchmacke derer kriechen- den Poeten. Sie koͤnnen ſich nicht in ſo ſub- tile Wuͤrmergen verwandeln, die denen Leuten bis ins Gehirn kriechen koͤnnten. Wagt er ſich aber ja, dieſes oder jenes Gemuͤths-Character abzuſchildern: So wird er entweder, wie die Katze uͤber die heiſſe Kohlen, fluͤchtig hinweg ei- len, oder ganz widerwaͤrtige Begriffe, die nicht bey ſolcher Gemuͤthsfaſſung zugleich beſte- hen koͤnnen, zuſammen reimen; ſo daß er z. E. eben dem, den er als großmuͤthig beſchreiben wollen, die niedertraͤchtigſten Handlungen bey- leget; einen Geizigen anders wo zum Verſchwen- der macht, oder gar die Namen umtaufet, und die Laſter als Tugenden, die Tugenden aber als Fehler und Laſter beſchreibet. 30. Maxime. Wenn ein kriechender Poete ſich mit ſeines gleichen, oder niedrigern, in poetiſchen Brief- Wechſel einlaͤſſet, bleiben es meiſtens Anecdo- ten, die kein Buchhaͤndler des Papiers und Druckes werth achten will. Aber die loͤbliche Froſchmaͤusler-Geſellſchaft beſitzt eine Samm- lung von etlichen tauſend poetiſchen Briefen, die von

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/87>, abgerufen am 18.04.2024.