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Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.

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X.
Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Men¬
schen Wunde nichts,

Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Ge¬
sunde nichts!

Und wäre nicht das Leben kurz, das stets der Mensch
vom Menschen erbt,

So gäb's Beklagenswertheres auf diesem weiten Runde
nichts!

Einförmig stellt Natur sich her, doch tausendförmig ist
ihr Tod,

Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten
Stunde nichts;

Und wer sich willig nicht ergiebt dem ehrnen Loose, das
ihm dräut,

Der zürnt in's Grab sich rettungslos, und fühlt in
dessen Schlunde nichts.

Dies wissen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag,
So komme denn, in diesem Sinn, hinfort aus meinem
Munde nichts!

Vergeßt, daß auch die Welt betrügt, und daß ihr Wunsch
nur Wünsche zeugt,

Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entschlüpfen eurer
Kunde nichts!

Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was sie Keinem
gab,

Denn Jeder sucht ein All zu seyn, und Jeder ist im
Grunde nichts.


X.
Es liegt an eines Menſchen Schmerz, an eines Men¬
ſchen Wunde nichts,

Es kehrt an das, was Kranke quaͤlt, ſich ewig der Ge¬
ſunde nichts!

Und waͤre nicht das Leben kurz, das ſtets der Menſch
vom Menſchen erbt,

So gaͤb's Beklagenswertheres auf dieſem weiten Runde
nichts!

Einfoͤrmig ſtellt Natur ſich her, doch tauſendfoͤrmig iſt
ihr Tod,

Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten
Stunde nichts;

Und wer ſich willig nicht ergiebt dem ehrnen Looſe, das
ihm draͤut,

Der zuͤrnt in's Grab ſich rettungslos, und fuͤhlt in
deſſen Schlunde nichts.

Dies wiſſen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag,
So komme denn, in dieſem Sinn, hinfort aus meinem
Munde nichts!

Vergeßt, daß auch die Welt betruͤgt, und daß ihr Wunſch
nur Wuͤnſche zeugt,

Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entſchluͤpfen eurer
Kunde nichts!

Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was ſie Keinem
gab,

Denn Jeder ſucht ein All zu ſeyn, und Jeder iſt im
Grunde nichts.


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[128/0138] X. Es liegt an eines Menſchen Schmerz, an eines Men¬ ſchen Wunde nichts, Es kehrt an das, was Kranke quaͤlt, ſich ewig der Ge¬ ſunde nichts! Und waͤre nicht das Leben kurz, das ſtets der Menſch vom Menſchen erbt, So gaͤb's Beklagenswertheres auf dieſem weiten Runde nichts! Einfoͤrmig ſtellt Natur ſich her, doch tauſendfoͤrmig iſt ihr Tod, Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten Stunde nichts; Und wer ſich willig nicht ergiebt dem ehrnen Looſe, das ihm draͤut, Der zuͤrnt in's Grab ſich rettungslos, und fuͤhlt in deſſen Schlunde nichts. Dies wiſſen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag, So komme denn, in dieſem Sinn, hinfort aus meinem Munde nichts! Vergeßt, daß auch die Welt betruͤgt, und daß ihr Wunſch nur Wuͤnſche zeugt, Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entſchluͤpfen eurer Kunde nichts! Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was ſie Keinem gab, Denn Jeder ſucht ein All zu ſeyn, und Jeder iſt im Grunde nichts.

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Zitationshilfe: Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/138>, abgerufen am 28.03.2024.