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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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"Ich hab' keine Zeit!" sagte er, wandte sich und wollte
an ihr vorbei.

Aber, sie vertrat ihm den Weg. "Ne Gustav! Aber,
Gustav, bis doch nicht so mit mir!" Sie stand da mit fliegendem
Busen und sah ihm voll in die Augen. Er hielt ihren Blick
nicht aus, mußte wegsehen.

Sie griff nach seiner Hand und meinte: "Ene Hand
hätt'st De mir immer geben kennen, Gustav!"

Das sei gar keine Manier, ihm so nachzulaufen und ihn
am hellen lichten Tage anzureden, sagte er, und sie solle sich
wegscheren. Er gab sich alle Mühe, entrüstet zu erscheinen.

Pauline schien keine Furcht vor ihm zu haben. Sie stand
dicht vor ihm. Eine Bewegung seines Armes hätte genügt,
sie bei Seite zu schieben. Aber, er hob die Hand nicht.

"Iber Iohr und Tog is es nu schon, Gustav, daß mer
uns niche gesehn haben! Und geontwortet hast Du och nich,
suviel ich Dir och geschrieben habe. Du thust doch gerade,
als wär'ch a schlechtes Madel, Gustav!" -- die Augen standen
ihr auf einmal ganz voll Thränen.

Heulen! das hatte grade noch gefehlt! Weiberthränen
waren für ihn etwas Entsetzliches. Er war ja sowieso schon
halb gewonnen durch ihren bloßen Anblick, durch den ver¬
trauten Klang ihrer Stimme. Was für Erinnerungen rief
ihm dieses Gesicht zurück! Er hatte so glücklich mit ihr
gelebt, wie noch mit keiner anderen. Sie war doch seine
Erste gewesen. Es lag in dem Gefühle so etwas ganz Be¬
sonderes, so etwas wie Heimweh, wie Dankbarkeit für ihre
Güte gegen ihn.-- Daß sie jetzt weinte, war schlimm! Er
kam sich schlecht vor und grausam. Das verdroß ihn. Nun
würde er das Mädel schwer wieder los werden, fürchtete er.

Sie wischte sich die Thränen mit einer Ecke ihrer schwarzen
Schürze ab, und fragte: "Was hast De denn egentlich gegen
mich Gustav? Sag mersch nur a enzigstes mal, was De hast,
daß De so bist! --"

Er kaute an seinem Schnurrbarte mit verdüsterter
Miene. Es wäre ein leichtes gewesen, ihr auf den Kopf zu¬

„Ich hab' keine Zeit!“ ſagte er, wandte ſich und wollte
an ihr vorbei.

Aber, ſie vertrat ihm den Weg. „Ne Guſtav! Aber,
Guſtav, bis doch nicht ſo mit mir!“ Sie ſtand da mit fliegendem
Buſen und ſah ihm voll in die Augen. Er hielt ihren Blick
nicht aus, mußte wegſehen.

Sie griff nach ſeiner Hand und meinte: „Ene Hand
hätt'ſt De mir immer geben kennen, Guſtav!“

Das ſei gar keine Manier, ihm ſo nachzulaufen und ihn
am hellen lichten Tage anzureden, ſagte er, und ſie ſolle ſich
wegſcheren. Er gab ſich alle Mühe, entrüſtet zu erſcheinen.

Pauline ſchien keine Furcht vor ihm zu haben. Sie ſtand
dicht vor ihm. Eine Bewegung ſeines Armes hätte genügt,
ſie bei Seite zu ſchieben. Aber, er hob die Hand nicht.

„Iber Iohr und Tog is es nu ſchon, Guſtav, daß mer
uns niche geſehn haben! Und geontwortet haſt Du och nich,
ſuviel ich Dir och geſchrieben habe. Du thuſt doch gerade,
als wär'ch a ſchlechtes Madel, Guſtav!“ — die Augen ſtanden
ihr auf einmal ganz voll Thränen.

Heulen! das hatte grade noch gefehlt! Weiberthränen
waren für ihn etwas Entſetzliches. Er war ja ſowieſo ſchon
halb gewonnen durch ihren bloßen Anblick, durch den ver¬
trauten Klang ihrer Stimme. Was für Erinnerungen rief
ihm dieſes Geſicht zurück! Er hatte ſo glücklich mit ihr
gelebt, wie noch mit keiner anderen. Sie war doch ſeine
Erſte geweſen. Es lag in dem Gefühle ſo etwas ganz Be¬
ſonderes, ſo etwas wie Heimweh, wie Dankbarkeit für ihre
Güte gegen ihn.— Daß ſie jetzt weinte, war ſchlimm! Er
kam ſich ſchlecht vor und grauſam. Das verdroß ihn. Nun
würde er das Mädel ſchwer wieder los werden, fürchtete er.

Sie wiſchte ſich die Thränen mit einer Ecke ihrer ſchwarzen
Schürze ab, und fragte: „Was haſt De denn egentlich gegen
mich Guſtav? Sag merſch nur a enzigſtes mal, was De haſt,
daß De ſo biſt! —“

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Miene. Es wäre ein leichtes geweſen, ihr auf den Kopf zu¬

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[7/0021] „Ich hab' keine Zeit!“ ſagte er, wandte ſich und wollte an ihr vorbei. Aber, ſie vertrat ihm den Weg. „Ne Guſtav! Aber, Guſtav, bis doch nicht ſo mit mir!“ Sie ſtand da mit fliegendem Buſen und ſah ihm voll in die Augen. Er hielt ihren Blick nicht aus, mußte wegſehen. Sie griff nach ſeiner Hand und meinte: „Ene Hand hätt'ſt De mir immer geben kennen, Guſtav!“ Das ſei gar keine Manier, ihm ſo nachzulaufen und ihn am hellen lichten Tage anzureden, ſagte er, und ſie ſolle ſich wegſcheren. Er gab ſich alle Mühe, entrüſtet zu erſcheinen. Pauline ſchien keine Furcht vor ihm zu haben. Sie ſtand dicht vor ihm. Eine Bewegung ſeines Armes hätte genügt, ſie bei Seite zu ſchieben. Aber, er hob die Hand nicht. „Iber Iohr und Tog is es nu ſchon, Guſtav, daß mer uns niche geſehn haben! Und geontwortet haſt Du och nich, ſuviel ich Dir och geſchrieben habe. Du thuſt doch gerade, als wär'ch a ſchlechtes Madel, Guſtav!“ — die Augen ſtanden ihr auf einmal ganz voll Thränen. Heulen! das hatte grade noch gefehlt! Weiberthränen waren für ihn etwas Entſetzliches. Er war ja ſowieſo ſchon halb gewonnen durch ihren bloßen Anblick, durch den ver¬ trauten Klang ihrer Stimme. Was für Erinnerungen rief ihm dieſes Geſicht zurück! Er hatte ſo glücklich mit ihr gelebt, wie noch mit keiner anderen. Sie war doch ſeine Erſte geweſen. Es lag in dem Gefühle ſo etwas ganz Be¬ ſonderes, ſo etwas wie Heimweh, wie Dankbarkeit für ihre Güte gegen ihn.— Daß ſie jetzt weinte, war ſchlimm! Er kam ſich ſchlecht vor und grauſam. Das verdroß ihn. Nun würde er das Mädel ſchwer wieder los werden, fürchtete er. Sie wiſchte ſich die Thränen mit einer Ecke ihrer ſchwarzen Schürze ab, und fragte: „Was haſt De denn egentlich gegen mich Guſtav? Sag merſch nur a enzigſtes mal, was De haſt, daß De ſo biſt! —“ Er kaute an ſeinem Schnurrbarte mit verdüſterter Miene. Es wäre ein leichtes geweſen, ihr auf den Kopf zu¬

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/21>, abgerufen am 16.04.2024.