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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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komm ack mitte!" so ermunterte sie den immer noch Zau¬
dernden.

Er folgte ihr schließlich. Dabei ärgerte er sich über sich
selbst, daß er so nachgiebig war. Er verstand sich darin selbst
nicht. Es gab in der ganzen Unteroffiziersabteilung keinen
schneidigeren Reiter als ihn. "Remonte dressieren" das war
seine Lust. Und dabei konnte er so weich sein, daß ihn der
Wachtmeister schon mal einen "nassen Waschlappen" genannt
hatte. Das war damals gewesen, als seine Charge die
"Kastanie" den Spat bekommen und zum Roßschlächter ge¬
mußt. Da hatte er geweint wie ein kleines Kind.

Pauline schien sich darauf zu verstehen, ihm beizu¬
kommen. Sie konnte, wenn sie wollte, sowas recht "Be¬
thuliches" haben. Sie that, als habe es niemals eine Ab¬
kühlung zwischen ihnen gegeben. Kein weiteres Wort des
Vorwurfes kam über ihre Lippen. Um keinen Preis wollte
sie ihn in schlechte Laune versetzen. Ihr Bestreben war, ihn
gar nicht erst zur Besinnung kommen zu lassen. Sie erzählte
von der Mutter, von ihrem Jungen, allerhand Lustiges und
Gutes, brachte ihn so mit kleinen Listen, deren sie sich kaum
bewußt wurde, bis vor ihre Thür.

Pauline wohnte mit ihrer Mutter, der Witfrau Katschner,
in einer strohgedeckten Fachwerkhütte, einem der kleinsten und
unansehnlichsten Anwesen des Ortes. Es war nur eine Garten¬
nahrung, nicht genug zum Leben und zuviel zum Sterben.
Die beiden Frauen verdienten sich etwas durch Handweberei.
Früher war Pauline zur Arbeit auf das Rittergut gegangen,
aber in letzter Zeit hatte sie das aufgegeben.

Pauline hatte ihr eigenes Stübchen nach hinten hinaus.
In Gustav rief hier jeder Schritt, den er that, Erinne¬
rungen wach. Durch dieses niedere Thürchen, das er nur
gebückt durchschreiten konnte, war er getreten, als sie ihn in
einer warmen Julinacht zum erstenmale in ihre Kammer ein¬
gelassen. Und wie oft war er seitdem hier aus und ein gegangen!
Zu Tag- und Nachtzeiten, ehe er zu den Soldaten ging und
auch nachher, wenn er auf Urlaub daheim gewesen war.

komm ack mitte!“ ſo ermunterte ſie den immer noch Zau¬
dernden.

Er folgte ihr ſchließlich. Dabei ärgerte er ſich über ſich
ſelbſt, daß er ſo nachgiebig war. Er verſtand ſich darin ſelbſt
nicht. Es gab in der ganzen Unteroffiziersabteilung keinen
ſchneidigeren Reiter als ihn. „Remonte dreſſieren“ das war
ſeine Luſt. Und dabei konnte er ſo weich ſein, daß ihn der
Wachtmeiſter ſchon mal einen „naſſen Waſchlappen“ genannt
hatte. Das war damals geweſen, als ſeine Charge die
„Kaſtanie“ den Spat bekommen und zum Roßſchlächter ge¬
mußt. Da hatte er geweint wie ein kleines Kind.

Pauline ſchien ſich darauf zu verſtehen, ihm beizu¬
kommen. Sie konnte, wenn ſie wollte, ſowas recht „Be¬
thuliches“ haben. Sie that, als habe es niemals eine Ab¬
kühlung zwiſchen ihnen gegeben. Kein weiteres Wort des
Vorwurfes kam über ihre Lippen. Um keinen Preis wollte
ſie ihn in ſchlechte Laune verſetzen. Ihr Beſtreben war, ihn
gar nicht erſt zur Beſinnung kommen zu laſſen. Sie erzählte
von der Mutter, von ihrem Jungen, allerhand Luſtiges und
Gutes, brachte ihn ſo mit kleinen Liſten, deren ſie ſich kaum
bewußt wurde, bis vor ihre Thür.

Pauline wohnte mit ihrer Mutter, der Witfrau Katſchner,
in einer ſtrohgedeckten Fachwerkhütte, einem der kleinſten und
unanſehnlichſten Anweſen des Ortes. Es war nur eine Garten¬
nahrung, nicht genug zum Leben und zuviel zum Sterben.
Die beiden Frauen verdienten ſich etwas durch Handweberei.
Früher war Pauline zur Arbeit auf das Rittergut gegangen,
aber in letzter Zeit hatte ſie das aufgegeben.

Pauline hatte ihr eigenes Stübchen nach hinten hinaus.
In Guſtav rief hier jeder Schritt, den er that, Erinne¬
rungen wach. Durch dieſes niedere Thürchen, das er nur
gebückt durchſchreiten konnte, war er getreten, als ſie ihn in
einer warmen Julinacht zum erſtenmale in ihre Kammer ein¬
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[9/0023] komm ack mitte!“ ſo ermunterte ſie den immer noch Zau¬ dernden. Er folgte ihr ſchließlich. Dabei ärgerte er ſich über ſich ſelbſt, daß er ſo nachgiebig war. Er verſtand ſich darin ſelbſt nicht. Es gab in der ganzen Unteroffiziersabteilung keinen ſchneidigeren Reiter als ihn. „Remonte dreſſieren“ das war ſeine Luſt. Und dabei konnte er ſo weich ſein, daß ihn der Wachtmeiſter ſchon mal einen „naſſen Waſchlappen“ genannt hatte. Das war damals geweſen, als ſeine Charge die „Kaſtanie“ den Spat bekommen und zum Roßſchlächter ge¬ mußt. Da hatte er geweint wie ein kleines Kind. Pauline ſchien ſich darauf zu verſtehen, ihm beizu¬ kommen. Sie konnte, wenn ſie wollte, ſowas recht „Be¬ thuliches“ haben. Sie that, als habe es niemals eine Ab¬ kühlung zwiſchen ihnen gegeben. Kein weiteres Wort des Vorwurfes kam über ihre Lippen. Um keinen Preis wollte ſie ihn in ſchlechte Laune verſetzen. Ihr Beſtreben war, ihn gar nicht erſt zur Beſinnung kommen zu laſſen. Sie erzählte von der Mutter, von ihrem Jungen, allerhand Luſtiges und Gutes, brachte ihn ſo mit kleinen Liſten, deren ſie ſich kaum bewußt wurde, bis vor ihre Thür. Pauline wohnte mit ihrer Mutter, der Witfrau Katſchner, in einer ſtrohgedeckten Fachwerkhütte, einem der kleinſten und unanſehnlichſten Anweſen des Ortes. Es war nur eine Garten¬ nahrung, nicht genug zum Leben und zuviel zum Sterben. Die beiden Frauen verdienten ſich etwas durch Handweberei. Früher war Pauline zur Arbeit auf das Rittergut gegangen, aber in letzter Zeit hatte ſie das aufgegeben. Pauline hatte ihr eigenes Stübchen nach hinten hinaus. In Guſtav rief hier jeder Schritt, den er that, Erinne¬ rungen wach. Durch dieſes niedere Thürchen, das er nur gebückt durchſchreiten konnte, war er getreten, als ſie ihn in einer warmen Julinacht zum erſtenmale in ihre Kammer ein¬ gelaſſen. Und wie oft war er ſeitdem hier aus und ein gegangen! Zu Tag- und Nachtzeiten, ehe er zu den Soldaten ging und auch nachher, wenn er auf Urlaub daheim geweſen war.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/23>, abgerufen am 25.04.2024.