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von Preuschen, Hermione: Yoshiwara. Vom Freudenhaus des Lebens. Berlin, 1920.

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Mitte, sardellenartig gepreßt von glotzenden Damen, scheint mir hier auf dem Fensterplatz mein Los schon ein günstigeres. Käme ich aus einem leeren Coupe erster Klasse, erschiene mir dieser Platz unerträglich." -- Wieder versucht sie, die Augen schließend, einzuschlummern, aber neue Lebensgeschichten plätschern an ihr vorüber. -- "Welch furchtbare Stimmen all diese Weiber haben, seelenlos wie Blech", denkt sie. "Welche Stimme wohl der Fremde hat, der mich vorhin so lange angesehen? Sind Stimmen Seelenträger, oder können auch Stimmen trügen wie Menschen? -- Nun sitzt die gute Mutter daheim und heult -- statt daß sie sich freuen sollte, daß ich nun hinauskomme in die herrliche Welt, nach der unerträglichen Enge und Kleinheit unseres Lebens, nach dem furchtbaren ,Kampf mit dem Pfennig', der unsere besten Instinkte tötet." Indra ist's, als müsse sie die Arme ausstrecken, die Welt zu umfassen, die bunte, herrliche Welt, der sie jetzt mit allem Sinnen und Sehnen, mit innerem Jauchzen entgegenfährt. -- Fünfundzwanzig Jahre war sie nun, fast "alt", wie sie lächelnd konstatierte. Und

Mitte, sardellenartig gepreßt von glotzenden Damen, scheint mir hier auf dem Fensterplatz mein Los schon ein günstigeres. Käme ich aus einem leeren Coupé erster Klasse, erschiene mir dieser Platz unerträglich.“ — Wieder versucht sie, die Augen schließend, einzuschlummern, aber neue Lebensgeschichten plätschern an ihr vorüber. — „Welch furchtbare Stimmen all diese Weiber haben, seelenlos wie Blech“, denkt sie. „Welche Stimme wohl der Fremde hat, der mich vorhin so lange angesehen? Sind Stimmen Seelenträger, oder können auch Stimmen trügen wie Menschen? — Nun sitzt die gute Mutter daheim und heult — statt daß sie sich freuen sollte, daß ich nun hinauskomme in die herrliche Welt, nach der unerträglichen Enge und Kleinheit unseres Lebens, nach dem furchtbaren ‚Kampf mit dem Pfennig‘, der unsere besten Instinkte tötet.“ Indra ist’s, als müsse sie die Arme ausstrecken, die Welt zu umfassen, die bunte, herrliche Welt, der sie jetzt mit allem Sinnen und Sehnen, mit innerem Jauchzen entgegenfährt. — Fünfundzwanzig Jahre war sie nun, fast „alt“, wie sie lächelnd konstatierte. Und

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[19/0018] Mitte, sardellenartig gepreßt von glotzenden Damen, scheint mir hier auf dem Fensterplatz mein Los schon ein günstigeres. Käme ich aus einem leeren Coupé erster Klasse, erschiene mir dieser Platz unerträglich.“ — Wieder versucht sie, die Augen schließend, einzuschlummern, aber neue Lebensgeschichten plätschern an ihr vorüber. — „Welch furchtbare Stimmen all diese Weiber haben, seelenlos wie Blech“, denkt sie. „Welche Stimme wohl der Fremde hat, der mich vorhin so lange angesehen? Sind Stimmen Seelenträger, oder können auch Stimmen trügen wie Menschen? — Nun sitzt die gute Mutter daheim und heult — statt daß sie sich freuen sollte, daß ich nun hinauskomme in die herrliche Welt, nach der unerträglichen Enge und Kleinheit unseres Lebens, nach dem furchtbaren ‚Kampf mit dem Pfennig‘, der unsere besten Instinkte tötet.“ Indra ist’s, als müsse sie die Arme ausstrecken, die Welt zu umfassen, die bunte, herrliche Welt, der sie jetzt mit allem Sinnen und Sehnen, mit innerem Jauchzen entgegenfährt. — Fünfundzwanzig Jahre war sie nun, fast „alt“, wie sie lächelnd konstatierte. Und

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Zitationshilfe: von Preuschen, Hermione: Yoshiwara. Vom Freudenhaus des Lebens. Berlin, 1920, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuschen_yoshiwara_1920/18>, abgerufen am 23.04.2024.