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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Fünf und zwanzigster Brief.

Meine theure Julie *).

Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London,
diesmal recht krank, und sehr widrig gestimmt, in
Harmonie mit dem Wetter, das, ganz a l'anglaise,
stürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kan-
nen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel sich auf-
klärte, ich beim sanften und raschen Rollen des Wa-
gens ein wenig geschlummert hatte, und durch den
Regen erfrischt, nun alles smaragd grün glänzte,
und ein herrlicher Duft von den Wiesen und Blu-
men in das offene Wagenfenster drang -- da ward
Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wie-
der auf einige Augenblicke das harmlose, in Gott
und der schönen Welt vergnügte Kind. Reisen ist
in der That in England äußerst ergötzlich -- könnte
ich nur Deine Freude daran sehen, sie selbst in

*) Dieser Name ist ein fingirter, weil wir nicht autori-
sirt sind, den wahren herzusetzen. So haben wir auch
einige andere Namen-Bezeichnungen, und Andeutungen
gesellschaftlicher Verhältnisse maskiren zu müssen ge-
glaubt. Anm. d. Herausg.
Briefe eines Verstorbenen I. 1
Fuͤnf und zwanzigſter Brief.

Meine theure Julie *).

Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London,
diesmal recht krank, und ſehr widrig geſtimmt, in
Harmonie mit dem Wetter, das, ganz à l’anglaise,
ſtürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kan-
nen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel ſich auf-
klärte, ich beim ſanften und raſchen Rollen des Wa-
gens ein wenig geſchlummert hatte, und durch den
Regen erfriſcht, nun alles ſmaragd grün glänzte,
und ein herrlicher Duft von den Wieſen und Blu-
men in das offene Wagenfenſter drang — da ward
Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wie-
der auf einige Augenblicke das harmloſe, in Gott
und der ſchönen Welt vergnügte Kind. Reiſen iſt
in der That in England äußerſt ergötzlich — könnte
ich nur Deine Freude daran ſehen, ſie ſelbſt in

*) Dieſer Name iſt ein fingirter, weil wir nicht autori-
ſirt ſind, den wahren herzuſetzen. So haben wir auch
einige andere Namen-Bezeichnungen, und Andeutungen
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glaubt. Anm. d. Herausg.
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[[1]/0025] Fuͤnf und zwanzigſter Brief. Cheltenham, den 12. Juli 1828. Meine theure Julie *). Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London, diesmal recht krank, und ſehr widrig geſtimmt, in Harmonie mit dem Wetter, das, ganz à l’anglaise, ſtürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kan- nen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel ſich auf- klärte, ich beim ſanften und raſchen Rollen des Wa- gens ein wenig geſchlummert hatte, und durch den Regen erfriſcht, nun alles ſmaragd grün glänzte, und ein herrlicher Duft von den Wieſen und Blu- men in das offene Wagenfenſter drang — da ward Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wie- der auf einige Augenblicke das harmloſe, in Gott und der ſchönen Welt vergnügte Kind. Reiſen iſt in der That in England äußerſt ergötzlich — könnte ich nur Deine Freude daran ſehen, ſie ſelbſt in *) Dieſer Name iſt ein fingirter, weil wir nicht autori- ſirt ſind, den wahren herzuſetzen. So haben wir auch einige andere Namen-Bezeichnungen, und Andeutungen geſellſchaftlicher Verhältniſſe maskiren zu müſſen ge- glaubt. Anm. d. Herausg. Briefe eines Verſtorbenen I. 1

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/25>, abgerufen am 19.03.2024.