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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Zwei und dreißigster Brief.

Geliebte Freundin!

All' Dein Belehren hilft nichts, gute Julie, --
Deine Rede ist schön, Deine Gründe mögen triftig
seyn, aber ich glaube einmal das Gegentheil, und
Glaube ist, wie Du weißt, ein Ding, das nicht nur
Berge versetzt, sondern sich auch oft welche aufbaut,
über die es nicht mehr hinwegsehen kann. Deswegen
hilft auch in der Welt alles Bekehren, es mag seyn
in welcher Hinsicht es wolle, nicht eher, als bis der
entgegengesetzte Glaube schon wankend geworden ist.
Vorher sprich mit der Weisheit Plato's, und handle
mit der Reinheit Jesu -- Jeder bleibt dennoch bei
seinem Glauben, auf den Vernunft und Verstand in
der Regel den wenigsten Einfluß haben. *) Wer die
Menschen plötzlich ändern will, ehe sie selbst Lust ha-
ben: eine neue Facette zum Abschleifen der Weltge-
schichte zuzukehren, wird stets, entweder als ein Narr

*) Höchstens nimmt der Bekehrte den Namen an, statt
der That.

Zwei und dreißigſter Brief.

Geliebte Freundin!

All’ Dein Belehren hilft nichts, gute Julie,
Deine Rede iſt ſchön, Deine Gründe mögen triftig
ſeyn, aber ich glaube einmal das Gegentheil, und
Glaube iſt, wie Du weißt, ein Ding, das nicht nur
Berge verſetzt, ſondern ſich auch oft welche aufbaut,
über die es nicht mehr hinwegſehen kann. Deswegen
hilft auch in der Welt alles Bekehren, es mag ſeyn
in welcher Hinſicht es wolle, nicht eher, als bis der
entgegengeſetzte Glaube ſchon wankend geworden iſt.
Vorher ſprich mit der Weisheit Plato’s, und handle
mit der Reinheit Jeſu — Jeder bleibt dennoch bei
ſeinem Glauben, auf den Vernunft und Verſtand in
der Regel den wenigſten Einfluß haben. *) Wer die
Menſchen plötzlich ändern will, ehe ſie ſelbſt Luſt ha-
ben: eine neue Facette zum Abſchleifen der Weltge-
ſchichte zuzukehren, wird ſtets, entweder als ein Narr

*) Höchſtens nimmt der Bekehrte den Namen an, ſtatt
der That.
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[[250]/0274] Zwei und dreißigſter Brief. B . . . . m, den 14ten September 1828. Geliebte Freundin! All’ Dein Belehren hilft nichts, gute Julie, — Deine Rede iſt ſchön, Deine Gründe mögen triftig ſeyn, aber ich glaube einmal das Gegentheil, und Glaube iſt, wie Du weißt, ein Ding, das nicht nur Berge verſetzt, ſondern ſich auch oft welche aufbaut, über die es nicht mehr hinwegſehen kann. Deswegen hilft auch in der Welt alles Bekehren, es mag ſeyn in welcher Hinſicht es wolle, nicht eher, als bis der entgegengeſetzte Glaube ſchon wankend geworden iſt. Vorher ſprich mit der Weisheit Plato’s, und handle mit der Reinheit Jeſu — Jeder bleibt dennoch bei ſeinem Glauben, auf den Vernunft und Verſtand in der Regel den wenigſten Einfluß haben. *) Wer die Menſchen plötzlich ändern will, ehe ſie ſelbſt Luſt ha- ben: eine neue Facette zum Abſchleifen der Weltge- ſchichte zuzukehren, wird ſtets, entweder als ein Narr *) Höchſtens nimmt der Bekehrte den Namen an, ſtatt der That.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. [250]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/274>, abgerufen am 19.03.2024.