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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Der Moment war außerordentlich günstig. Fast
eine Woche langer Regen hatte alle Wasserfälle,
Flüße und Bäche so angeschwellt, daß sie sich in ihrer
größten Schönheit zeigten, Bäume und Gras hatten
ihr saftigstes Grün angelegt, und die Luft war
rein und durchsichtig wie Crystall geworden. Ich be-
wunderte die reichen Massen farbiger Bergblumen
und Eriken, welche in den Felsenspalten wucherten,
und bedauerte, zu wenig von der Botanik zu verste-
hen, um sie noch mehr als mit den Augen genießen
zu können. Bald indeß erreichte ich die ernsteren
Regionen, wo von Blumen nur noch wenig, von
Bäumen gar nicht mehr die Rede ist. An dem Was-
serfall von Idwal stieg ich aus, um einen kleinen
See zu besichtigen, der sich nicht übel für den Ein-
gang des Hades passen würde.

Die trostlose Oede und Wildheit des tiefen Felsen-
kessels ist wahrhaft Schauder erregend. Ich hatte
gelesen, daß es möglich sey, von hier über den Tri-
vaen (der Berg mit den Basaltsäulen, von den ich
Dir geschrieben) und die ihn umgebenden Felsen in
gerader Linie nach Capel Cerrig zu gelangen, die
Passage war aber als sehr schwierig, jedoch auch
äußerst schön geschildert. Da nun eben ein Schaf-
hirte von den Bergen herabkam, so fühlte ich große
Versuchung mit dem Führer, den mir der Zufall so
gefällig bot, diese Tour zu versuchen. Ich ließ ihm
meinen Wunsch durch den Postillon verdollmetschen,
er meinte aber, es sey nun schon zu spät, und das
Heruntersteigen auf der andern Seite bei Nacht zu

Der Moment war außerordentlich günſtig. Faſt
eine Woche langer Regen hatte alle Waſſerfälle,
Flüße und Bäche ſo angeſchwellt, daß ſie ſich in ihrer
größten Schönheit zeigten, Bäume und Gras hatten
ihr ſaftigſtes Grün angelegt, und die Luft war
rein und durchſichtig wie Cryſtall geworden. Ich be-
wunderte die reichen Maſſen farbiger Bergblumen
und Eriken, welche in den Felſenſpalten wucherten,
und bedauerte, zu wenig von der Botanik zu verſte-
hen, um ſie noch mehr als mit den Augen genießen
zu können. Bald indeß erreichte ich die ernſteren
Regionen, wo von Blumen nur noch wenig, von
Bäumen gar nicht mehr die Rede iſt. An dem Waſ-
ſerfall von Idwal ſtieg ich aus, um einen kleinen
See zu beſichtigen, der ſich nicht übel für den Ein-
gang des Hades paſſen würde.

Die troſtloſe Oede und Wildheit des tiefen Felſen-
keſſels iſt wahrhaft Schauder erregend. Ich hatte
geleſen, daß es möglich ſey, von hier über den Tri-
vaen (der Berg mit den Baſaltſäulen, von den ich
Dir geſchrieben) und die ihn umgebenden Felſen in
gerader Linie nach Capel Cerrig zu gelangen, die
Paſſage war aber als ſehr ſchwierig, jedoch auch
äußerſt ſchön geſchildert. Da nun eben ein Schaf-
hirte von den Bergen herabkam, ſo fühlte ich große
Verſuchung mit dem Führer, den mir der Zufall ſo
gefällig bot, dieſe Tour zu verſuchen. Ich ließ ihm
meinen Wunſch durch den Poſtillon verdollmetſchen,
er meinte aber, es ſey nun ſchon zu ſpät, und das
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[108/0132] Der Moment war außerordentlich günſtig. Faſt eine Woche langer Regen hatte alle Waſſerfälle, Flüße und Bäche ſo angeſchwellt, daß ſie ſich in ihrer größten Schönheit zeigten, Bäume und Gras hatten ihr ſaftigſtes Grün angelegt, und die Luft war rein und durchſichtig wie Cryſtall geworden. Ich be- wunderte die reichen Maſſen farbiger Bergblumen und Eriken, welche in den Felſenſpalten wucherten, und bedauerte, zu wenig von der Botanik zu verſte- hen, um ſie noch mehr als mit den Augen genießen zu können. Bald indeß erreichte ich die ernſteren Regionen, wo von Blumen nur noch wenig, von Bäumen gar nicht mehr die Rede iſt. An dem Waſ- ſerfall von Idwal ſtieg ich aus, um einen kleinen See zu beſichtigen, der ſich nicht übel für den Ein- gang des Hades paſſen würde. Die troſtloſe Oede und Wildheit des tiefen Felſen- keſſels iſt wahrhaft Schauder erregend. Ich hatte geleſen, daß es möglich ſey, von hier über den Tri- vaen (der Berg mit den Baſaltſäulen, von den ich Dir geſchrieben) und die ihn umgebenden Felſen in gerader Linie nach Capel Cerrig zu gelangen, die Paſſage war aber als ſehr ſchwierig, jedoch auch äußerſt ſchön geſchildert. Da nun eben ein Schaf- hirte von den Bergen herabkam, ſo fühlte ich große Verſuchung mit dem Führer, den mir der Zufall ſo gefällig bot, dieſe Tour zu verſuchen. Ich ließ ihm meinen Wunſch durch den Poſtillon verdollmetſchen, er meinte aber, es ſey nun ſchon zu ſpät, und das Herunterſteigen auf der andern Seite bei Nacht zu

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/132>, abgerufen am 28.03.2024.