Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

man durch die engen Gassen zum Gipfel. Ein Herr
zeigte mir gütig den Weg, welcher sich mir nachher
als den Herrn Stadt-Chirurgus dekouvrirte, und
mit vieler Artigkeit die Honneurs der Ruine machte.
In ihren Mauern haben sich die Honoratioren ganz
romantisch ihr Casino, nebst einem sehr zierlichen
Bulmengärtchen angelegt, von welchem letztern man
eine vortreffliche Aussicht genießt. Der übrige Theil des
weitläuftigen Schlosses bietet dagegen nur ein verlas-
senes Labyrinth von Mauern und Grasplätzen dar,
wo die Distel wuchert. Alle drei Jahre wird jedoch
auf diesem Platz ein großes Nationalfest gehalten --
die Versammlung der welschen Barden. Gleich den
ehemaligen Minnesängern Deutschlands, kommen hier
sämmtliche Harfner aus Wales zum Wettkampf zu-
sammen. Der Sieger gewinnt einen goldnen Becher,
und ein gemeinschaftliches Chor von hundert Harfen
hallt zu seinem Ruhm in den Ruinen wieder. In
drei Monaten sollte die Vereinigung statt finden, zu
der man auch den Herzog von Susser erwartete.

Von hier kam ich, einer Bergschlucht folgend, in
ein wunderschönes Thal. Tiefe Waldesnacht umfing
mich, Felsen streckten wieder, wie alte Bekannte,
grüßend ihre bemosten Häupter aus den Zweigen,
der wilde Fluß schäumte wieder, springend und
tanzend durch die Waldblumen, und verborgene,
beimlich glänzende Wiesen leuchteten mir wieder mit
aller Goldfrische des Gebirges entgegen. Wohl einige
Stunden irrte ich in diesen Gründen umher, dann
erklomm ich die Höhe auf einem mühsamen Fußpfad,

man durch die engen Gaſſen zum Gipfel. Ein Herr
zeigte mir gütig den Weg, welcher ſich mir nachher
als den Herrn Stadt-Chirurgus dekouvrirte, und
mit vieler Artigkeit die Honneurs der Ruine machte.
In ihren Mauern haben ſich die Honoratioren ganz
romantiſch ihr Caſino, nebſt einem ſehr zierlichen
Bulmengärtchen angelegt, von welchem letztern man
eine vortreffliche Ausſicht genießt. Der übrige Theil des
weitläuftigen Schloſſes bietet dagegen nur ein verlaſ-
ſenes Labyrinth von Mauern und Grasplätzen dar,
wo die Diſtel wuchert. Alle drei Jahre wird jedoch
auf dieſem Platz ein großes Nationalfeſt gehalten —
die Verſammlung der welſchen Barden. Gleich den
ehemaligen Minneſängern Deutſchlands, kommen hier
ſämmtliche Harfner aus Wales zum Wettkampf zu-
ſammen. Der Sieger gewinnt einen goldnen Becher,
und ein gemeinſchaftliches Chor von hundert Harfen
hallt zu ſeinem Ruhm in den Ruinen wieder. In
drei Monaten ſollte die Vereinigung ſtatt finden, zu
der man auch den Herzog von Suſſer erwartete.

Von hier kam ich, einer Bergſchlucht folgend, in
ein wunderſchönes Thal. Tiefe Waldesnacht umfing
mich, Felſen ſtreckten wieder, wie alte Bekannte,
grüßend ihre bemosten Häupter aus den Zweigen,
der wilde Fluß ſchäumte wieder, ſpringend und
tanzend durch die Waldblumen, und verborgene,
beimlich glänzende Wieſen leuchteten mir wieder mit
aller Goldfriſche des Gebirges entgegen. Wohl einige
Stunden irrte ich in dieſen Gründen umher, dann
erklomm ich die Höhe auf einem mühſamen Fußpfad,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="140"/>
man durch die engen Ga&#x017F;&#x017F;en zum Gipfel. Ein Herr<lb/>
zeigte mir gütig den Weg, welcher &#x017F;ich mir nachher<lb/>
als den Herrn Stadt-Chirurgus dekouvrirte, und<lb/>
mit vieler Artigkeit die Honneurs der Ruine machte.<lb/>
In ihren Mauern haben &#x017F;ich die Honoratioren ganz<lb/>
romanti&#x017F;ch ihr Ca&#x017F;ino, neb&#x017F;t einem &#x017F;ehr zierlichen<lb/>
Bulmengärtchen angelegt, von welchem letztern man<lb/>
eine vortreffliche Aus&#x017F;icht genießt. Der übrige Theil des<lb/>
weitläuftigen Schlo&#x017F;&#x017F;es bietet dagegen nur ein verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enes Labyrinth von Mauern und Grasplätzen dar,<lb/>
wo die Di&#x017F;tel wuchert. Alle drei Jahre wird jedoch<lb/>
auf die&#x017F;em Platz ein großes Nationalfe&#x017F;t gehalten &#x2014;<lb/>
die Ver&#x017F;ammlung der wel&#x017F;chen Barden. Gleich den<lb/>
ehemaligen Minne&#x017F;ängern Deut&#x017F;chlands, kommen hier<lb/>
&#x017F;ämmtliche Harfner aus Wales zum Wettkampf zu-<lb/>
&#x017F;ammen. Der Sieger gewinnt einen goldnen Becher,<lb/>
und ein gemein&#x017F;chaftliches Chor von hundert Harfen<lb/>
hallt zu &#x017F;einem Ruhm in den Ruinen wieder. In<lb/>
drei Monaten &#x017F;ollte die Vereinigung &#x017F;tatt finden, zu<lb/>
der man auch den Herzog von Su&#x017F;&#x017F;er erwartete.</p><lb/>
          <p>Von hier kam ich, einer Berg&#x017F;chlucht folgend, in<lb/>
ein wunder&#x017F;chönes Thal. Tiefe Waldesnacht umfing<lb/>
mich, Fel&#x017F;en &#x017F;treckten wieder, wie alte Bekannte,<lb/>
grüßend ihre bemosten Häupter aus den Zweigen,<lb/>
der wilde Fluß &#x017F;chäumte wieder, &#x017F;pringend und<lb/>
tanzend durch die Waldblumen, und verborgene,<lb/>
beimlich glänzende Wie&#x017F;en leuchteten mir wieder mit<lb/>
aller Goldfri&#x017F;che des Gebirges entgegen. Wohl einige<lb/>
Stunden irrte ich in die&#x017F;en Gründen umher, dann<lb/>
erklomm ich die Höhe auf einem müh&#x017F;amen Fußpfad,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0164] man durch die engen Gaſſen zum Gipfel. Ein Herr zeigte mir gütig den Weg, welcher ſich mir nachher als den Herrn Stadt-Chirurgus dekouvrirte, und mit vieler Artigkeit die Honneurs der Ruine machte. In ihren Mauern haben ſich die Honoratioren ganz romantiſch ihr Caſino, nebſt einem ſehr zierlichen Bulmengärtchen angelegt, von welchem letztern man eine vortreffliche Ausſicht genießt. Der übrige Theil des weitläuftigen Schloſſes bietet dagegen nur ein verlaſ- ſenes Labyrinth von Mauern und Grasplätzen dar, wo die Diſtel wuchert. Alle drei Jahre wird jedoch auf dieſem Platz ein großes Nationalfeſt gehalten — die Verſammlung der welſchen Barden. Gleich den ehemaligen Minneſängern Deutſchlands, kommen hier ſämmtliche Harfner aus Wales zum Wettkampf zu- ſammen. Der Sieger gewinnt einen goldnen Becher, und ein gemeinſchaftliches Chor von hundert Harfen hallt zu ſeinem Ruhm in den Ruinen wieder. In drei Monaten ſollte die Vereinigung ſtatt finden, zu der man auch den Herzog von Suſſer erwartete. Von hier kam ich, einer Bergſchlucht folgend, in ein wunderſchönes Thal. Tiefe Waldesnacht umfing mich, Felſen ſtreckten wieder, wie alte Bekannte, grüßend ihre bemosten Häupter aus den Zweigen, der wilde Fluß ſchäumte wieder, ſpringend und tanzend durch die Waldblumen, und verborgene, beimlich glänzende Wieſen leuchteten mir wieder mit aller Goldfriſche des Gebirges entgegen. Wohl einige Stunden irrte ich in dieſen Gründen umher, dann erklomm ich die Höhe auf einem mühſamen Fußpfad,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/164
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/164>, abgerufen am 19.04.2024.