Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

beipflichteten. Ich warb nachher einige Bauern für
meinen Colonisations-Plan an. Sie drängen sich
Alle zum Auswandern, aber leider haben sie auch
nicht einen Heller darauf zu verwenden. Uebrigens
kann man ihnen leicht alles besser versprechen, als sie
es hier haben, wo ein Mensch von einem halben
Morgen Land leben muß, und wenn er noch so gern
auswärts arbeiten will, doch keine Arbeit findet.
Die Wohlhabendsten wohnen in Gebäuden, die un-
sern Bauern als Stall zu schlecht dünken würden.
Ich besuchte ein solches, und fand es aufgeführt aus
Mauern von ungesprengten Feldsteinen, mit Moos
ausgestopft, und einem Dach von Stangen, das
halb mit Stroh, halb mit Rasen belegt war. Der
Boden bestand aus der blanken Erde, und eine Stu-
bendecke unter dem erwähnten, halb durchsichtigen
Dach, gab es nicht. Schornsteine schienen hier auch
unnütze Luxusartikel. Der Rauch ging vom frei-
stehenden Heerde zu den Fensterlöchern heraus, wor-
an ihn keine Glasscheiben verhinderten. Ein niedri-
ger Verschlag rechts theilte die Schlafstelle der Fa-
milie ab, die alle zusammen ruhen -- ein andrer
links, begränzte Schwein und Kuh. So stand das
Häuschen mitten im Felde, ohne Garten, noch irgend
eine Bequemlichkeit -- und dies nannten Alle eine
vortreffliche Wohnung.

Als wir zu Haus kamen, waren unserm hübschen
Gast beinahe die Hände, mitten im Sommer, erfro-
ren. Sie waren wirklich völlig weiß, und gefühllos
geworden, und wir mußten sie mehr als eine Viertel

beipflichteten. Ich warb nachher einige Bauern für
meinen Coloniſations-Plan an. Sie drängen ſich
Alle zum Auswandern, aber leider haben ſie auch
nicht einen Heller darauf zu verwenden. Uebrigens
kann man ihnen leicht alles beſſer verſprechen, als ſie
es hier haben, wo ein Menſch von einem halben
Morgen Land leben muß, und wenn er noch ſo gern
auswärts arbeiten will, doch keine Arbeit findet.
Die Wohlhabendſten wohnen in Gebäuden, die un-
ſern Bauern als Stall zu ſchlecht dünken würden.
Ich beſuchte ein ſolches, und fand es aufgeführt aus
Mauern von ungeſprengten Feldſteinen, mit Moos
ausgeſtopft, und einem Dach von Stangen, das
halb mit Stroh, halb mit Raſen belegt war. Der
Boden beſtand aus der blanken Erde, und eine Stu-
bendecke unter dem erwähnten, halb durchſichtigen
Dach, gab es nicht. Schornſteine ſchienen hier auch
unnütze Luxusartikel. Der Rauch ging vom frei-
ſtehenden Heerde zu den Fenſterlöchern heraus, wor-
an ihn keine Glasſcheiben verhinderten. Ein niedri-
ger Verſchlag rechts theilte die Schlafſtelle der Fa-
milie ab, die alle zuſammen ruhen — ein andrer
links, begränzte Schwein und Kuh. So ſtand das
Häuschen mitten im Felde, ohne Garten, noch irgend
eine Bequemlichkeit — und dies nannten Alle eine
vortreffliche Wohnung.

Als wir zu Haus kamen, waren unſerm hübſchen
Gaſt beinahe die Hände, mitten im Sommer, erfro-
ren. Sie waren wirklich völlig weiß, und gefühllos
geworden, und wir mußten ſie mehr als eine Viertel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0278" n="254"/>
beipflichteten. Ich warb nachher einige Bauern für<lb/>
meinen Coloni&#x017F;ations-Plan an. Sie drängen &#x017F;ich<lb/>
Alle zum Auswandern, aber leider haben &#x017F;ie auch<lb/>
nicht einen Heller darauf zu verwenden. Uebrigens<lb/>
kann man ihnen leicht alles be&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;prechen, als &#x017F;ie<lb/>
es hier haben, wo ein Men&#x017F;ch von einem halben<lb/>
Morgen Land leben muß, und wenn er noch &#x017F;o gern<lb/>
auswärts arbeiten will, doch keine Arbeit findet.<lb/>
Die Wohlhabend&#x017F;ten wohnen in Gebäuden, die un-<lb/>
&#x017F;ern Bauern als Stall zu &#x017F;chlecht dünken würden.<lb/>
Ich be&#x017F;uchte ein &#x017F;olches, und fand es aufgeführt aus<lb/>
Mauern von unge&#x017F;prengten Feld&#x017F;teinen, mit Moos<lb/>
ausge&#x017F;topft, und einem Dach von Stangen, das<lb/>
halb mit Stroh, halb mit Ra&#x017F;en belegt war. Der<lb/>
Boden be&#x017F;tand aus der blanken Erde, und eine Stu-<lb/>
bendecke unter dem erwähnten, halb durch&#x017F;ichtigen<lb/>
Dach, gab es nicht. Schorn&#x017F;teine &#x017F;chienen hier auch<lb/>
unnütze Luxusartikel. Der Rauch ging vom frei-<lb/>
&#x017F;tehenden Heerde zu den Fen&#x017F;terlöchern heraus, wor-<lb/>
an ihn keine Glas&#x017F;cheiben verhinderten. Ein niedri-<lb/>
ger Ver&#x017F;chlag rechts theilte die Schlaf&#x017F;telle der Fa-<lb/>
milie ab, die alle zu&#x017F;ammen ruhen &#x2014; ein andrer<lb/>
links, begränzte Schwein und Kuh. So &#x017F;tand das<lb/>
Häuschen mitten im Felde, ohne Garten, noch irgend<lb/>
eine Bequemlichkeit &#x2014; und dies nannten Alle eine<lb/><hi rendition="#g">vortreffliche</hi> Wohnung.</p><lb/>
          <p>Als wir zu Haus kamen, waren un&#x017F;erm hüb&#x017F;chen<lb/>
Ga&#x017F;t beinahe die Hände, mitten im Sommer, erfro-<lb/>
ren. Sie waren wirklich völlig weiß, und gefühllos<lb/>
geworden, und wir mußten &#x017F;ie mehr als eine Viertel<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0278] beipflichteten. Ich warb nachher einige Bauern für meinen Coloniſations-Plan an. Sie drängen ſich Alle zum Auswandern, aber leider haben ſie auch nicht einen Heller darauf zu verwenden. Uebrigens kann man ihnen leicht alles beſſer verſprechen, als ſie es hier haben, wo ein Menſch von einem halben Morgen Land leben muß, und wenn er noch ſo gern auswärts arbeiten will, doch keine Arbeit findet. Die Wohlhabendſten wohnen in Gebäuden, die un- ſern Bauern als Stall zu ſchlecht dünken würden. Ich beſuchte ein ſolches, und fand es aufgeführt aus Mauern von ungeſprengten Feldſteinen, mit Moos ausgeſtopft, und einem Dach von Stangen, das halb mit Stroh, halb mit Raſen belegt war. Der Boden beſtand aus der blanken Erde, und eine Stu- bendecke unter dem erwähnten, halb durchſichtigen Dach, gab es nicht. Schornſteine ſchienen hier auch unnütze Luxusartikel. Der Rauch ging vom frei- ſtehenden Heerde zu den Fenſterlöchern heraus, wor- an ihn keine Glasſcheiben verhinderten. Ein niedri- ger Verſchlag rechts theilte die Schlafſtelle der Fa- milie ab, die alle zuſammen ruhen — ein andrer links, begränzte Schwein und Kuh. So ſtand das Häuschen mitten im Felde, ohne Garten, noch irgend eine Bequemlichkeit — und dies nannten Alle eine vortreffliche Wohnung. Als wir zu Haus kamen, waren unſerm hübſchen Gaſt beinahe die Hände, mitten im Sommer, erfro- ren. Sie waren wirklich völlig weiß, und gefühllos geworden, und wir mußten ſie mehr als eine Viertel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/278
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/278>, abgerufen am 28.03.2024.