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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Dee, so einen zweiten Fluß, 120 Fuß über dem an-
dern, hinströmen lassend. Das Bergstädtchen Llan-
gollen gewährt nach einigen Stunden ein köstliches
Ruheplätzchen, und ist mit Recht seiner lieblichen
Gegend wegen so häufig besucht. Die schönste Aus-
sicht hat man vom Kirchhofe, neben dem Gasthaus,
wo ich vor einer halben Stunde, auf ein Grab-
monument geklettert, stand, und mich, mit herzli-
cher Frömmigkeit, glückselig des schönen Anblicks
freute. Unter mir blühte ein terrassenförmiges Gärt-
chen mit Wein, Jelänger-jelieber, Rosen und hun-
dert bunten Blumen, die wie zum Bade bis an den
Rand des schäumenden Flusses hinab stiegen; rechts
verfolgte mein Blick die emsig murmelnden gekräu-
selten Wellen zwischen dicht herabhängendem Ge-
büsch; vor mir erhob sich eine doppelte Waldregion,
durch Wiesenflächen mit weidenden Kühen abgetheilt,
und über alles hoch oben die kahle conische Spitze
eines vielleicht ehemaligen Vulcans, den jetzt die
düstern Ruinen der uralten welschen Burg Castel
Dinas Bran,
zu deutsch: die Krähen-Veste, wie
eine Mauerkrone, decken; links zerstreuen sich die
steinernen Häuser des Städtchens im Thal, und ne-
ben einer malerischen Brücke bildet der Fluß hier ei-
nen ansehnlichen Wasserfall; dicht hinter diesen an-
gelehnt aber stellen sich, gleich Riesenwächtern, drei
große Bergkolosse majestätisch vor, und verschließen
dem Auge alle fernern Geheimnisse der wunderbaren
Gegend. Erlaube nun daß ich -- vom Romantischen
zum vielleicht weniger feinen, aber doch auch keines-

Briefe eines Verstorbenen. I. 2

Dee, ſo einen zweiten Fluß, 120 Fuß über dem an-
dern, hinſtrömen laſſend. Das Bergſtädtchen Llan-
gollen gewährt nach einigen Stunden ein köſtliches
Ruheplätzchen, und iſt mit Recht ſeiner lieblichen
Gegend wegen ſo häufig beſucht. Die ſchönſte Aus-
ſicht hat man vom Kirchhofe, neben dem Gaſthaus,
wo ich vor einer halben Stunde, auf ein Grab-
monument geklettert, ſtand, und mich, mit herzli-
cher Frömmigkeit, glückſelig des ſchönen Anblicks
freute. Unter mir blühte ein terraſſenförmiges Gärt-
chen mit Wein, Jelänger-jelieber, Roſen und hun-
dert bunten Blumen, die wie zum Bade bis an den
Rand des ſchäumenden Fluſſes hinab ſtiegen; rechts
verfolgte mein Blick die emſig murmelnden gekräu-
ſelten Wellen zwiſchen dicht herabhängendem Ge-
büſch; vor mir erhob ſich eine doppelte Waldregion,
durch Wieſenflächen mit weidenden Kühen abgetheilt,
und über alles hoch oben die kahle coniſche Spitze
eines vielleicht ehemaligen Vulcans, den jetzt die
düſtern Ruinen der uralten welſchen Burg Castel
Dinas Bran,
zu deutſch: die Krähen-Veſte, wie
eine Mauerkrone, decken; links zerſtreuen ſich die
ſteinernen Häuſer des Städtchens im Thal, und ne-
ben einer maleriſchen Brücke bildet der Fluß hier ei-
nen anſehnlichen Waſſerfall; dicht hinter dieſen an-
gelehnt aber ſtellen ſich, gleich Rieſenwächtern, drei
große Bergkoloſſe majeſtätiſch vor, und verſchließen
dem Auge alle fernern Geheimniſſe der wunderbaren
Gegend. Erlaube nun daß ich — vom Romantiſchen
zum vielleicht weniger feinen, aber doch auch keines-

Briefe eines Verſtorbenen. I. 2
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[17/0041] Dee, ſo einen zweiten Fluß, 120 Fuß über dem an- dern, hinſtrömen laſſend. Das Bergſtädtchen Llan- gollen gewährt nach einigen Stunden ein köſtliches Ruheplätzchen, und iſt mit Recht ſeiner lieblichen Gegend wegen ſo häufig beſucht. Die ſchönſte Aus- ſicht hat man vom Kirchhofe, neben dem Gaſthaus, wo ich vor einer halben Stunde, auf ein Grab- monument geklettert, ſtand, und mich, mit herzli- cher Frömmigkeit, glückſelig des ſchönen Anblicks freute. Unter mir blühte ein terraſſenförmiges Gärt- chen mit Wein, Jelänger-jelieber, Roſen und hun- dert bunten Blumen, die wie zum Bade bis an den Rand des ſchäumenden Fluſſes hinab ſtiegen; rechts verfolgte mein Blick die emſig murmelnden gekräu- ſelten Wellen zwiſchen dicht herabhängendem Ge- büſch; vor mir erhob ſich eine doppelte Waldregion, durch Wieſenflächen mit weidenden Kühen abgetheilt, und über alles hoch oben die kahle coniſche Spitze eines vielleicht ehemaligen Vulcans, den jetzt die düſtern Ruinen der uralten welſchen Burg Castel Dinas Bran, zu deutſch: die Krähen-Veſte, wie eine Mauerkrone, decken; links zerſtreuen ſich die ſteinernen Häuſer des Städtchens im Thal, und ne- ben einer maleriſchen Brücke bildet der Fluß hier ei- nen anſehnlichen Waſſerfall; dicht hinter dieſen an- gelehnt aber ſtellen ſich, gleich Rieſenwächtern, drei große Bergkoloſſe majeſtätiſch vor, und verſchließen dem Auge alle fernern Geheimniſſe der wunderbaren Gegend. Erlaube nun daß ich — vom Romantiſchen zum vielleicht weniger feinen, aber doch auch keines- Briefe eines Verſtorbenen. I. 2

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/41>, abgerufen am 28.03.2024.