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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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wohnte Hütten verwandelt, und ihre Lage nicht eben
ausgezeichnet. Bemerkenswerther schien mir weiter-
hin ein Felsen, der in der Gestalt eines Bischofs mit
Krummstab und Mitra sich darstellte, als stiege er
eben aus einer Höhle, um den erstaunten Heiden das
Christenthum zu predigen. Woher kömmt es wohl,
daß, wenn die Natur so spielt, es eine fast erhabne
Wirkung macht, und wenn es die Kunst nachahmen
will, dies immer lächerlich erscheint?

Ein kleines tormento im Gebirge sind die vielen
Kinder, welche, wie Gnomen kommend und verschwin-
dend, den Wagen mit unbegreiflicher Beharrlichkeit
bettelnd begleiten. Ermüdet von dieser Zudringlich-
keit hatte ich mir bestimmt vorgenommen, Keinem
etwas mehr zu geben, weil man sonst darauf rechnen
kann, gar nicht mehr von ihnen verlassen zu wer-
den; aber eines dieser kleinen Mädchen bezwang den-
noch alle meine Entschlüsse durch ihre Ausdauer. Ge-
wiß eine deutsche Meile lief sie im scharfen Trabe
Berg auf Berg ab, nur manchmal durch Fußwege
abkürzend, mich aber nie aus den Augen lassend,
neben mir her, wobei sie unaufhörlich denselben jam-
mervoll klagenden Ton, gleich einer Seemöve, aus-
stieß, der mir zuletzt so unerträglich wurde, daß ich
mich gefangen gab, und der nicht zu ermüdenden Lau-
ferin meine Ruhe mit einem Schilling abkaufte. Der
unheilbringende Ton war mir aber, wie der Tik Tak
einer Uhr, die man täglich zu hören gewohnt ist, so
im Ohre geblieben, daß ich ihn den ganzen Tag nicht
los werden konnte.

wohnte Hütten verwandelt, und ihre Lage nicht eben
ausgezeichnet. Bemerkenswerther ſchien mir weiter-
hin ein Felſen, der in der Geſtalt eines Biſchofs mit
Krummſtab und Mitra ſich darſtellte, als ſtiege er
eben aus einer Höhle, um den erſtaunten Heiden das
Chriſtenthum zu predigen. Woher kömmt es wohl,
daß, wenn die Natur ſo ſpielt, es eine faſt erhabne
Wirkung macht, und wenn es die Kunſt nachahmen
will, dies immer lächerlich erſcheint?

Ein kleines tormento im Gebirge ſind die vielen
Kinder, welche, wie Gnomen kommend und verſchwin-
dend, den Wagen mit unbegreiflicher Beharrlichkeit
bettelnd begleiten. Ermüdet von dieſer Zudringlich-
keit hatte ich mir beſtimmt vorgenommen, Keinem
etwas mehr zu geben, weil man ſonſt darauf rechnen
kann, gar nicht mehr von ihnen verlaſſen zu wer-
den; aber eines dieſer kleinen Mädchen bezwang den-
noch alle meine Entſchlüſſe durch ihre Ausdauer. Ge-
wiß eine deutſche Meile lief ſie im ſcharfen Trabe
Berg auf Berg ab, nur manchmal durch Fußwege
abkürzend, mich aber nie aus den Augen laſſend,
neben mir her, wobei ſie unaufhörlich denſelben jam-
mervoll klagenden Ton, gleich einer Seemöve, aus-
ſtieß, der mir zuletzt ſo unerträglich wurde, daß ich
mich gefangen gab, und der nicht zu ermüdenden Lau-
ferin meine Ruhe mit einem Schilling abkaufte. Der
unheilbringende Ton war mir aber, wie der Tik Tak
einer Uhr, die man täglich zu hören gewohnt iſt, ſo
im Ohre geblieben, daß ich ihn den ganzen Tag nicht
los werden konnte.

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[27/0051] wohnte Hütten verwandelt, und ihre Lage nicht eben ausgezeichnet. Bemerkenswerther ſchien mir weiter- hin ein Felſen, der in der Geſtalt eines Biſchofs mit Krummſtab und Mitra ſich darſtellte, als ſtiege er eben aus einer Höhle, um den erſtaunten Heiden das Chriſtenthum zu predigen. Woher kömmt es wohl, daß, wenn die Natur ſo ſpielt, es eine faſt erhabne Wirkung macht, und wenn es die Kunſt nachahmen will, dies immer lächerlich erſcheint? Ein kleines tormento im Gebirge ſind die vielen Kinder, welche, wie Gnomen kommend und verſchwin- dend, den Wagen mit unbegreiflicher Beharrlichkeit bettelnd begleiten. Ermüdet von dieſer Zudringlich- keit hatte ich mir beſtimmt vorgenommen, Keinem etwas mehr zu geben, weil man ſonſt darauf rechnen kann, gar nicht mehr von ihnen verlaſſen zu wer- den; aber eines dieſer kleinen Mädchen bezwang den- noch alle meine Entſchlüſſe durch ihre Ausdauer. Ge- wiß eine deutſche Meile lief ſie im ſcharfen Trabe Berg auf Berg ab, nur manchmal durch Fußwege abkürzend, mich aber nie aus den Augen laſſend, neben mir her, wobei ſie unaufhörlich denſelben jam- mervoll klagenden Ton, gleich einer Seemöve, aus- ſtieß, der mir zuletzt ſo unerträglich wurde, daß ich mich gefangen gab, und der nicht zu ermüdenden Lau- ferin meine Ruhe mit einem Schilling abkaufte. Der unheilbringende Ton war mir aber, wie der Tik Tak einer Uhr, die man täglich zu hören gewohnt iſt, ſo im Ohre geblieben, daß ich ihn den ganzen Tag nicht los werden konnte.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/51>, abgerufen am 24.04.2024.