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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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ein völlig unbefruchteter, eine titulaire Null sey.
Sonderbar verschieden sind dabei die Attribute und
die Functionen dieses geheimnißvollen Raths-Wesens.
Bald führt seinen Namen ein invalider Staatsmann
in der Residenz, dem man aus Ehrfurcht für seine
Altersschwäche, und zur Belohnung eines glücklich
erlebten Jubiläums, eben den gelben Greifen um-
gehangen hat; oder ein nicht allzuthätiger, aber desto
mehr von sich eingenommener Ober-Präsident in der
Provinz, dem seine Verdienste bei der Durchreise
eines fremden Souverains, endlich zu Ehre und
Orden verhelfen; hier ist es die rüstige Stütze der
Finanzen, oder selbst der rara avis, ein einflußrei-
cher Mann nahe am Throne und dennoch ein be-
scheidener
Mann voller Verdienst; dort aber schon
wieder eine blos vegetirende Excellenz, die kein an-
deres Geschäft kennt als von Haus zu Haus gehend,
veraltete Späße und Namenverdrehungen aufzutischen,
die seit einem halben Jahrhundert das Privilegium
haben, die creme de la bonne societe in der Haupt-
stadt zu entzücken. Jetzt wird abermals ein genialer
Mann daraus, der als Dichter und Mensch erfreut,
und nie einen andern als den geraden Steg betritt,
-- weiterhin repräsentirt es ein zwar weniger glän-
zendes, aber desto mehr umfassendes Genie, welches,
obgleich der Themis eigen, auch eben so gut unter
den Sternen, sowohl des Himmels als des Theaters,
Bescheid weiß. Endlich verwandelt sich dieser Pro-
teus gar in einen Cameralisten, berühmten Schaaf-
züchter und Oekonomen, der seine Felder -- und spä-

ein völlig unbefruchteter, eine titulaire Null ſey.
Sonderbar verſchieden ſind dabei die Attribute und
die Functionen dieſes geheimnißvollen Raths-Weſens.
Bald führt ſeinen Namen ein invalider Staatsmann
in der Reſidenz, dem man aus Ehrfurcht für ſeine
Altersſchwäche, und zur Belohnung eines glücklich
erlebten Jubiläums, eben den gelben Greifen um-
gehangen hat; oder ein nicht allzuthätiger, aber deſto
mehr von ſich eingenommener Ober-Präſident in der
Provinz, dem ſeine Verdienſte bei der Durchreiſe
eines fremden Souverains, endlich zu Ehre und
Orden verhelfen; hier iſt es die rüſtige Stütze der
Finanzen, oder ſelbſt der rara avis, ein einflußrei-
cher Mann nahe am Throne und dennoch ein be-
ſcheidener
Mann voller Verdienſt; dort aber ſchon
wieder eine blos vegetirende Excellenz, die kein an-
deres Geſchäft kennt als von Haus zu Haus gehend,
veraltete Späße und Namenverdrehungen aufzutiſchen,
die ſeit einem halben Jahrhundert das Privilegium
haben, die crême de la bonne société in der Haupt-
ſtadt zu entzücken. Jetzt wird abermals ein genialer
Mann daraus, der als Dichter und Menſch erfreut,
und nie einen andern als den geraden Steg betritt,
— weiterhin repräſentirt es ein zwar weniger glän-
zendes, aber deſto mehr umfaſſendes Genie, welches,
obgleich der Themis eigen, auch eben ſo gut unter
den Sternen, ſowohl des Himmels als des Theaters,
Beſcheid weiß. Endlich verwandelt ſich dieſer Pro-
teus gar in einen Cameraliſten, berühmten Schaaf-
züchter und Oekonomen, der ſeine Felder — und ſpä-

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[29/0053] ein völlig unbefruchteter, eine titulaire Null ſey. Sonderbar verſchieden ſind dabei die Attribute und die Functionen dieſes geheimnißvollen Raths-Weſens. Bald führt ſeinen Namen ein invalider Staatsmann in der Reſidenz, dem man aus Ehrfurcht für ſeine Altersſchwäche, und zur Belohnung eines glücklich erlebten Jubiläums, eben den gelben Greifen um- gehangen hat; oder ein nicht allzuthätiger, aber deſto mehr von ſich eingenommener Ober-Präſident in der Provinz, dem ſeine Verdienſte bei der Durchreiſe eines fremden Souverains, endlich zu Ehre und Orden verhelfen; hier iſt es die rüſtige Stütze der Finanzen, oder ſelbſt der rara avis, ein einflußrei- cher Mann nahe am Throne und dennoch ein be- ſcheidener Mann voller Verdienſt; dort aber ſchon wieder eine blos vegetirende Excellenz, die kein an- deres Geſchäft kennt als von Haus zu Haus gehend, veraltete Späße und Namenverdrehungen aufzutiſchen, die ſeit einem halben Jahrhundert das Privilegium haben, die crême de la bonne société in der Haupt- ſtadt zu entzücken. Jetzt wird abermals ein genialer Mann daraus, der als Dichter und Menſch erfreut, und nie einen andern als den geraden Steg betritt, — weiterhin repräſentirt es ein zwar weniger glän- zendes, aber deſto mehr umfaſſendes Genie, welches, obgleich der Themis eigen, auch eben ſo gut unter den Sternen, ſowohl des Himmels als des Theaters, Beſcheid weiß. Endlich verwandelt ſich dieſer Pro- teus gar in einen Cameraliſten, berühmten Schaaf- züchter und Oekonomen, der ſeine Felder — und ſpä-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/53>, abgerufen am 25.04.2024.