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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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der im Winter auf dem See vor Deinem Fenster
schwerfällig hinwatschelt, unmöglich ist, mit den vor-
beigleitenden Schlittschuhfahrern Wette zu laufen,
aber -- seine Zeit kömmt auch, wenn er mit stolz ge-
krümmtem Halse die Fluthen zertheilt, oder im blauen
Aether allein und majestätisch durch die Lüfte schwebt.
Dann erst ist er, er selbst.

Doch zurück zu Cashel. Ich benutzte heute meines
guten Freundes Pferde, die mir täglich zu Gebote
stehen, zu einer zweiten Excursion, nach der sechs
Meilen entfernten Ruine von Holycroß (heiligen
Kreuz) der würdigen Rivalin des Teufels-Felsens.
Zuerst belustigten wir uns, querfeldein zu reiten, und
einige Mauern zu überspringen, dann gelangten wir
auf eine Anhöhe, von der sich der "rock", wie er
hier kurzweg genannt wird, am imponirendsten aus-
nimmt. Der Kranz entfernter blauer Berge, die sich
rund um den, einzeln in der fruchtbaren Ebene ste-
henden, Felsen lagern, Burg, Abtei und Cathedrale,
die, ein großes Ganze bildend, stumm und großartig,
von ihm herab die Geschichte auf einander folgender
Jahrhunderte, verkünden, und endlich die Stadt am
Fuße, so ärmlich, obgleich sie der Sitz zweier Erzbi-
schöfe (eines protestantischen und katholischen) ist, die
auch eine stumme Sprache spricht, über die jetzige
Zeit! -- erwecken gar mancherlei widersprechende Ge-
fühle. --

der im Winter auf dem See vor Deinem Fenſter
ſchwerfällig hinwatſchelt, unmöglich iſt, mit den vor-
beigleitenden Schlittſchuhfahrern Wette zu laufen,
aber — ſeine Zeit kömmt auch, wenn er mit ſtolz ge-
krümmtem Halſe die Fluthen zertheilt, oder im blauen
Aether allein und majeſtätiſch durch die Lüfte ſchwebt.
Dann erſt iſt er, er ſelbſt.

Doch zurück zu Caſhel. Ich benutzte heute meines
guten Freundes Pferde, die mir täglich zu Gebote
ſtehen, zu einer zweiten Excurſion, nach der ſechs
Meilen entfernten Ruine von Holycroß (heiligen
Kreuz) der würdigen Rivalin des Teufels-Felſens.
Zuerſt beluſtigten wir uns, querfeldein zu reiten, und
einige Mauern zu überſpringen, dann gelangten wir
auf eine Anhöhe, von der ſich der „rock“, wie er
hier kurzweg genannt wird, am imponirendſten aus-
nimmt. Der Kranz entfernter blauer Berge, die ſich
rund um den, einzeln in der fruchtbaren Ebene ſte-
henden, Felſen lagern, Burg, Abtei und Cathedrale,
die, ein großes Ganze bildend, ſtumm und großartig,
von ihm herab die Geſchichte auf einander folgender
Jahrhunderte, verkünden, und endlich die Stadt am
Fuße, ſo ärmlich, obgleich ſie der Sitz zweier Erzbi-
ſchöfe (eines proteſtantiſchen und katholiſchen) iſt, die
auch eine ſtumme Sprache ſpricht, über die jetzige
Zeit! — erwecken gar mancherlei widerſprechende Ge-
fühle. —

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[94/0116] der im Winter auf dem See vor Deinem Fenſter ſchwerfällig hinwatſchelt, unmöglich iſt, mit den vor- beigleitenden Schlittſchuhfahrern Wette zu laufen, aber — ſeine Zeit kömmt auch, wenn er mit ſtolz ge- krümmtem Halſe die Fluthen zertheilt, oder im blauen Aether allein und majeſtätiſch durch die Lüfte ſchwebt. Dann erſt iſt er, er ſelbſt. Doch zurück zu Caſhel. Ich benutzte heute meines guten Freundes Pferde, die mir täglich zu Gebote ſtehen, zu einer zweiten Excurſion, nach der ſechs Meilen entfernten Ruine von Holycroß (heiligen Kreuz) der würdigen Rivalin des Teufels-Felſens. Zuerſt beluſtigten wir uns, querfeldein zu reiten, und einige Mauern zu überſpringen, dann gelangten wir auf eine Anhöhe, von der ſich der „rock“, wie er hier kurzweg genannt wird, am imponirendſten aus- nimmt. Der Kranz entfernter blauer Berge, die ſich rund um den, einzeln in der fruchtbaren Ebene ſte- henden, Felſen lagern, Burg, Abtei und Cathedrale, die, ein großes Ganze bildend, ſtumm und großartig, von ihm herab die Geſchichte auf einander folgender Jahrhunderte, verkünden, und endlich die Stadt am Fuße, ſo ärmlich, obgleich ſie der Sitz zweier Erzbi- ſchöfe (eines proteſtantiſchen und katholiſchen) iſt, die auch eine ſtumme Sprache ſpricht, über die jetzige Zeit! — erwecken gar mancherlei widerſprechende Ge- fühle. —

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/116>, abgerufen am 24.04.2024.