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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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unachtsam auf das Publikum, oder was um ihn vor-
geht. Die dominirende Parthei gebraucht ihn aber,
wo nöthig, als Schreier. Heute verflog er sich so
sehr, mit unaufhaltsamem Schwunge, daß er plötzlich
mitten in der katholischen und archikatholischen
Association, die Fahne des Deismus aufpflanzte,
vielleicht auch nur um O'Connel Gelegenheit zu
geben, ihn mit Indignation zur Ordnung zu rufen,
und dabei eine fromme Tirade anbringen zu können;
denn auf der Rednerbühne, wie auf dem Böttgerfaß,
auf dem Throne, wie auf der Marionettenbude --
gehört Klappern zum Handwerk. Am gewöhnlichen
Orte ruhte ich Abends aus. Tableaus waren wieder
an der Tagesordnung. Nach einander mußte ich als
Brutus, orientalischer Jude, Francois premier, oder
Saladdin erscheinen. Miß J ... war als Student
von Alkala ein verführerischer Wildfang, und ihre
ältere Schwester, als Sklavin des Serails, eine will-
kommene Gefährtin für Saladin, und als die schöne
Rebekka Walter Scott's, auch nicht übel mit dem
orientalischen Juden gepaart. Alle diese Metamor-
phosen bewerkstelligte die Mutter nur mit vier Lich-
tern, zwei Spiegeln, einigen Shawls, bunten Tü-
chern, einem am Licht gefärbten Korkstöpsel, einem
Schminktopf und verschiedenen Haartouren. Dennoch
hätte Talma den Brutus nicht besser drapiren kön-
nen, und täuschender die Physiognomieen verändern,
als diese geringen Mittel es, unter der geschickten
Leitung von Lady C ..., vermochten. Zuletzt wur-
den Carrikaturen gezeichnet, und auf meine Bitte

unachtſam auf das Publikum, oder was um ihn vor-
geht. Die dominirende Parthei gebraucht ihn aber,
wo nöthig, als Schreier. Heute verflog er ſich ſo
ſehr, mit unaufhaltſamem Schwunge, daß er plötzlich
mitten in der katholiſchen und archikatholiſchen
Aſſociation, die Fahne des Deismus aufpflanzte,
vielleicht auch nur um O’Connel Gelegenheit zu
geben, ihn mit Indignation zur Ordnung zu rufen,
und dabei eine fromme Tirade anbringen zu können;
denn auf der Rednerbühne, wie auf dem Böttgerfaß,
auf dem Throne, wie auf der Marionettenbude —
gehört Klappern zum Handwerk. Am gewöhnlichen
Orte ruhte ich Abends aus. Tableaus waren wieder
an der Tagesordnung. Nach einander mußte ich als
Brutus, orientaliſcher Jude, François premier, oder
Saladdin erſcheinen. Miß J … war als Student
von Alkala ein verführeriſcher Wildfang, und ihre
ältere Schweſter, als Sklavin des Serails, eine will-
kommene Gefährtin für Saladin, und als die ſchöne
Rebekka Walter Scott’s, auch nicht übel mit dem
orientaliſchen Juden gepaart. Alle dieſe Metamor-
phoſen bewerkſtelligte die Mutter nur mit vier Lich-
tern, zwei Spiegeln, einigen Shawls, bunten Tü-
chern, einem am Licht gefärbten Korkſtöpſel, einem
Schminktopf und verſchiedenen Haartouren. Dennoch
hätte Talma den Brutus nicht beſſer drapiren kön-
nen, und täuſchender die Phyſiognomieen verändern,
als dieſe geringen Mittel es, unter der geſchickten
Leitung von Lady C …, vermochten. Zuletzt wur-
den Carrikaturen gezeichnet, und auf meine Bitte

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[185/0207] unachtſam auf das Publikum, oder was um ihn vor- geht. Die dominirende Parthei gebraucht ihn aber, wo nöthig, als Schreier. Heute verflog er ſich ſo ſehr, mit unaufhaltſamem Schwunge, daß er plötzlich mitten in der katholiſchen und archikatholiſchen Aſſociation, die Fahne des Deismus aufpflanzte, vielleicht auch nur um O’Connel Gelegenheit zu geben, ihn mit Indignation zur Ordnung zu rufen, und dabei eine fromme Tirade anbringen zu können; denn auf der Rednerbühne, wie auf dem Böttgerfaß, auf dem Throne, wie auf der Marionettenbude — gehört Klappern zum Handwerk. Am gewöhnlichen Orte ruhte ich Abends aus. Tableaus waren wieder an der Tagesordnung. Nach einander mußte ich als Brutus, orientaliſcher Jude, François premier, oder Saladdin erſcheinen. Miß J … war als Student von Alkala ein verführeriſcher Wildfang, und ihre ältere Schweſter, als Sklavin des Serails, eine will- kommene Gefährtin für Saladin, und als die ſchöne Rebekka Walter Scott’s, auch nicht übel mit dem orientaliſchen Juden gepaart. Alle dieſe Metamor- phoſen bewerkſtelligte die Mutter nur mit vier Lich- tern, zwei Spiegeln, einigen Shawls, bunten Tü- chern, einem am Licht gefärbten Korkſtöpſel, einem Schminktopf und verſchiedenen Haartouren. Dennoch hätte Talma den Brutus nicht beſſer drapiren kön- nen, und täuſchender die Phyſiognomieen verändern, als dieſe geringen Mittel es, unter der geſchickten Leitung von Lady C …, vermochten. Zuletzt wur- den Carrikaturen gezeichnet, und auf meine Bitte

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/207>, abgerufen am 25.04.2024.